Schluss mit dem ewigen Aufschieben
Ärgernis. Ihm gilt der Neid derjenigen, die ihren täglichen Frondienst verrichten, und die glauben, dass
er ein fröhlicher Anhänger des Mañana sei, der mehr Spaß am Leben hat. Solange unglückliche Menschen, die aufschieben, noch
nach Ausreden suchen, sehen sie selbst sich auch gerne so. Im Internet gibt es launige Seiten amerikanischer Aufschieber.
Jene
procrastinator
sehen im Macher den Feind:
The Doer is the enemy! ,
so lautet ihre Devise. Sie grenzen sich ab von einer immer hektischer laufenden Wirtschaftsmaschinerie, in der die Lebenszeit
des Einzelnen nur eine optimal auszubeutende Ressource darstellt.
Zwar wird die protestantische Leistungsethik nach wissenschaftlichen Untersuchungen in Gesellschaften wie der unsrigen, in
der das materielle Überleben weitgehend sichergestellt ist, durch postmoderne hedonistische Wertvorstellungen abgelöst. Weniger
arbeiten, mehr genießen ist das Motto. Für die Mehrheit derjenigen, die der Erwerbsarbeit nachgehen müssen, ist jedoch nicht
erkennbar, dass Tugenden beziehungsweise Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit oder die termingerechte Erledigung von Aufgaben
an Wert verloren hätten. Im Gegenteil, der Neoliberalismus scheint eine Generation junger Menschen hervorgebracht zu haben,
who happily slave away.
Das Reden vom »Freizeitpark Deutschland«, dessen Bewohner angeblich faul in den Hängematten schaukeln, ruft ebenfalls das
Ideal harter Anstrengung und Leistungsbereitschaft in Erinnerung. Es ist untrennbar verbunden mit unserem christlich geprägten
Kulturkreis.
Kulturen haben bestimmte Menschenbilder, die einen hohen Druck entfalten, ihnen zu entsprechen. Diese Bilder werden im Prozess
der Erziehung vermittelt und durch die Medien aufrechterhalten. Das beste Beispiel dafür sind in unserer westlichen Kultur
zurzeit jene Schönheitsideale, die mit der Realität der meisten Frauen und Männer nichts mehr zu tun haben, aber Millionen
in die Fitnessstudios locken, damit sie ihnen besser entsprechen. Ein amerikanischer und ein englischer Forscher zeigten kürzlich
peruanischen Eingeborenen, die mit unserer Kultur noch keine Berührung hatten, Bilder |162| westlicher Frauen. Dabei zeigte sich, dass Frauen, die hier als übergewichtig gelten, dem dortigen Schönheitsideal am meisten
entsprachen und als Ehefrauen am begehrtesten waren. Ihre Figur signalisierte Gesundheit und Reserven für Zeiten der Entbehrung.
Frauen, die unserem Schlankheitsideal näher kamen, wurden als krank angesehen.
Nachdem die Idealvorstellungen von Schlankheit bei Frauen eine Fülle von Essstörungen erzeugt haben, sind diese Probleme nun
bei jungen Männern im Vormarsch, die ebenfalls zunehmend dem Terror ausgesetzt sind, sich nur dann als attraktiv fühlen zu
dürfen, wenn sie den Werbefotos männlicher Models mit Waschbrettbauch und schwellenden Muskeln entsprechen.
Weniger spektakulär, jedoch kaum weniger verhängnisvoll, ist der Terror, der von irrealen Vorstellungen über Leistungsfähigkeit,
Perfektion und unbegrenzte dynamische Tatkraft ausgeht. Mehr und mehr verschwindet für Kinder und Jugendliche eine Kindheit,
in der das selbstbestimmte spielerische Probieren im Vordergrund stand. Längst sind es nicht mehr nur einige wenige ehrgeizige
Tennismütter, die die zukünftigen Stars von Termin zu Termin fahren, sondern die Nachbarinnen von nebenan. Wie viele Eltern,
die ihren Kindern die vermeintlich besten Startchancen ins Leben (gemeint ist dabei immer eine berufliche Laufbahn) einräumen
wollen, haben für ihre Viertklässler folgende außerschulische Termine gebucht: Englischunterricht (für den späteren Amerikaaufenthalt
während des Studiums), Geigenunterricht (wegen der musischen Bildung), Segelunterricht (Vater segelt auch), Judounterricht
(»für einen Jungen immer gut«) und Töpfern (zur Förderung der Kreativität). Da für alle diese Aktivitäten Geld zu bezahlen
ist, wird ein Gegenwert erwartet, der in Leistung besteht: Der Unterricht muss etwas bringen, das Kind muss sich anstrengen.
Für Auftritte mit der Geige muss geübt werden, im Judokurs finden regelmäßig Wettkämpfe statt, die freie Zeit an den Wochenenden
wird von Regatten beansprucht. Eltern hoffen, dass ihr Kind mit diesen »Zusatzqualifikationen« fit ist für die spätere Konkurrenz
in der Ellbogengesellschaft. Die Chancen stehen allerdings auch gut dafür, dass diese Kinder ein Aufschiebeproblem entwickeln
werden. Denn wenn nach so vielen
Weitere Kostenlose Bücher