Schluss mit dem ewigen Aufschieben
Sie nichts Besseres verdienen?
Eine echt schwere Frage. Es ist natürlich leicht, »Nein« hinzuschreiben, aber da ist irgendwo doch ein Gefühl in mir, als
hätte ich es wirklich nicht besser verdient. Mir fallen dazu meine Eltern ein, die mich zwar auf das Gymnasium gehen ließen,
aber auch darunter litten, von mir abgehängt zu werden. Ich habe mich auch oft schlecht gefühlt, weil ich Zugang zu einer
Welt hatte, die ihnen verschlossen blieb. Vielleicht darf es mir nicht besser gehen als ihnen.
Was ist also der Lohn Ihres Aufschiebens? Womit müssten Sie sich auseinander setzen, wenn Sie nicht aufschieben?
Mit dem, was ich wirklich aus mir machen möchte, und der Frage, wie ich das herausfinden kann. Damit, ob es mir besser gehen
darf als meinen Eltern. Damit, dass ich bisher jeden Freund nach kurzer Zeit verjagt habe.
Sie sehen, wie schnell die Fragen in diesem Bogen von der Oberfläche des Aufschiebens hin zu zentralen Konflikten führen.
Beate ist dabei klar geworden, dass ihr Perfektionismus das Instrument ist, mit dem sie aufschiebt. Den Motor bilden jedoch
Konflikte, die sie |182| aus Kindheit und Jugend noch mit sich herumschleppt: Angst und Schuldgefühle, die Eltern zu übertrumpfen, das Gefühl, überschätzt
und mit wichtigen Entscheidungen allein gelassen zu werden, die Angst vor der Nähe zu einem Freund. Als Beate diesen Bogen
nach einiger Zeit erneut ausfüllt, hat sie zu diesem letzten Konfliktbereich noch einen sehr wichtigen Einfall: Wenn sie sich
auf einen Mann einlässt, fürchtet sie, ihre eigene Karriere ihm unterordnen zu müssen. Noch später fällt ihr ein: Wenn sie
heiraten würde, könnte sie es sich sparen, unter vielen Ängsten herauszufinden, was sie wirklich will. Hier entdeckt Beate
dann einen neuen Konflikt, der darin besteht, dass sie sich heimlich herbeisehnt, die eigene Entwicklung zu verpassen, wovor
sie sich doch auch so sehr fürchtet.
Tipp: Füllen Sie diesen Bogen nach ein paar Tagen nochmals aus. Sie werden sehen, dass Ihnen weitere wichtige Aspekte einfallen,
die Ihnen dabei helfen herauszufinden, was hinter Ihrem Aufschieben steckt.
Zu Ihrer Selbsterkenntnis kann ein
emotionales Erinnern
beitragen: Gehen Sie zurück in die Zeit, in der Sie Ihr Aufschieben erstmals als Problem empfunden haben. Betrachten Sie Fotos
von damals, sprechen Sie mit Ihren Angehörigen, lesen Sie in Ihrem alten Tagebuch, suchen Sie sich Literatur, Theaterstücke
oder Filme aus, die starke Gefühle in Ihnen auslösen. All das kann Ihnen helfen, wirklich wichtige Dinge über sich herauszufinden.
Unser Gehirn ist so organisiert, dass die linke Gehirnhälfte spezialisiert ist auf logisches und bewusstes Denken und Sprechen
und damit bei nahezu allen Menschen die dominante Rolle innehat. Die rechte Gehirnhälfte – unabhängig davon, ob Sie Links-
oder Rechtshänder sind – ist zuständig für Gefühle, unbewusste Denkprozesse, Kreativität, Erinnerung an Sinneseindrücke und
so weiter. Die rechte Gehirnhälfte anzusteuern kann Ihnen dabei helfen, Zugang zu tieferen Schichten Ihres Erlebens und Fühlens
zu finden. Sie kennen vielleicht die berühmte Stelle aus
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
, in der Marcel Proust schildert, wie der Geschmack der Madeleines, eines Gebäcks, das in Tee eingetaucht wird, überwältigend
die Erinnerungen an seine Kindheit heraufbeschwört:
|183| »Sobald ich den Geschmack jener Madeleine wiedererkannt hatte, die meine Tante mir, in Lindenblütentee eingetaucht, zu verabfolgen
pflegte (obgleich ich immer noch nicht wusste und auch erst späterhin würde ergründen können, weshalb die Erinnerung mich
so glücklich machte) ... stiegen jetzt alle Blumen unseres Gartens und die aus dem Park von Monsieur Swann, die Seerosen auf
der Vivonne, die Leutchen aus dem Dorfe und ihre kleinen Häuser und die Kirche und ganz Combray und seine Umgebung, alles
deutlich und greifbar, die Stadt und die Gärten auf aus meiner Tasse Tee.« (Proust, I, S. 66)
Der Proustsche Protagonist aktiviert seine Erinnerung durch eine ganz konkrete, nur für ihn wirksame Methode. Falls Tee und
Gebäck Ihnen keinen Zugang zu Ihrer rechten Gehirnhälfte verschaffen, dann probieren Sie doch einmal die Strategie aus, die
von der amerikanischen Autorin Karen Peterson empfohlen wird:
Tipp: Schreiben Sie Ihre Antworten in dem obigen Fragebogen zunächst einmal mit Ihrer bevorzugten Hand, im üblichen Fall also mit
der rechten. Gehen
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