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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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letzte Handlung: der Gang zum Telefon. Ich drückte die
Play-Taste des blinkenden Anrufbeantworters. Den ersten Anrufer kannte ich,
auch wenn mir seine Stimme fremd vorkam. Ein gewisser Max Koller bat um
Rückruf, hinterließ seine Handy- und Festnetznummer. Dann zwei stumme
Nachrichten, vielleicht ebenfalls von mir. Zuletzt die tiefe Stimme eines
Mannes, der mit eigentümlichem Akzent sprach. Erst brummte er ungehalten, als
widerstrebe es ihm, sich auf dem Anrufbeantworter zu verewigen, dann sagte er:
»Was ist? Kommen wir ins Geschäft? Ich warte.« Ende der Durchsage. Kein Name,
keine Abschiedsformel. Interessanter Mensch.
    Ich hörte mir das Band noch einmal an. Dann betätigte ich wie
am Montag bei Annette Nierzwa die Wiederholtaste des Telefons. Auf dem Display
erschien eine Nummer mit Vorwahl aus dem Stuttgarter Raum. Den Hörer am Ohr,
notierte ich sie auf der Rückseite des Stern .
    »Ja?«, meldete sich jemand.
    »Woll hier«, sagte ich und versuchte, meine Stimme schneidig
klingen zu lassen.
    »Und? Haben Sie sie?« Es war der Typ vom Anrufbeantworter.
Der mit dem Akzent.
    »Ja.«
    Kurze Pause. »Alles glatt gelaufen?«
    »Ja!«
    »Dann sagen Sie: Wo
treffen wir uns? Und wann?«
    Ich räusperte mich, um
Zeit zu gewin nen. Bloß keine langen Antworten. »Egal«, sagte ich.
»Bald.«
    Nun war es eine lange Pause, die folgte. Ich wartete. Der
andere sollte sie beenden.
    Das tat er auch. »Wer
sind Sie?«, fragte er lauernd.
    »Woll.«
    Er legte auf.
    Langsam ließ ich den Hörer sinken. Der Akzent des Mannes
hatte mich an Typen mit schwarzen Haaren, Ohrringen und einer Vorliebe für
schwere Mercedes erinnert, auch wenn diese Assoziation politisch nicht korrekt
war. Aber was hatte Woll mit Sinti und Roma zu tun?
    In seiner Wohnung hatte ich nichts gefunden, was einer Antwort
auf diese Frage gleichkam. Ich besaß nur die Nummer des Mannes. Er war der
Letzte, den Woll angerufen hatte, wann auch immer das gewesen sein mochte.
    Höchste Zeit, mich auf die Socken zu machen. Als ich Wolls
Tür von außen abschloss, öffnete sich die der Nachbarwohnung. Eine ältere Frau
schlurfte vorbei. Ich wandte mein Gesicht ab und ließ sie den Aufzug alleine
benutzen. Im Treppenhaus glommen trübe Neonfunzeln. Leere Bierdosen lagen
herum, über die ocker gestrichene Betonwand zogen sich meterlange Graffiti. Ich
gab mir alle Mühe, aber lesen konnte ich sie nicht.
    Vielleicht der Fluch der Inkagötter.

Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

25
    Unter sportlichen Gesichtspunkten gehörte dieser
Tag eindeutig zu den erfolgreicheren. Die Rückfahrt zum Auerhahnenkopf war
schon die dritte Trainingseinheit für heute. Hoch zur Drei-Eichen-Hütte, am
Kohlhof vorbei, über den Schwabenweg. Ich begegnete einer Gruppe von
Spaziergängern, rote und blaue Flecken vor verschneiter Kulisse, klingelte sie
aus dem Weg, sie warfen mir missbilligende Blicke zu, weil ich ihre
rot-blau-weiße Idylle mit meinem Radlerehrgeiz störte.
    Eine gute Stunde war vergangen, seit ich Woll verlassen
hatte. Gesellschaft hatte er nicht erhalten. Keine Bullen, keine
Winterwanderer. Seine Wange schmiegte sich in den Schnee, die gefesselten Hände
griffen ins Leere. Statt Hotelpool in Südamerika ein kaltes Bett am
Läuterungsberg. Das hatte sich der Klarinettist anders vorgestellt.
    Ich fuhr weiter bis zu dem Hochsitz, vor dem Woll gelegen
hatte, stellte mein Fahrrad auf dem Gehweg ab und hängte die Jacke über die
Querstange. Dann kletterte ich nach oben. Die morschen Sprossen der Leiter
ächzten, aber sie hielten. Ob sie auch zwei Personen gleichzeitig trugen? Ich
erinnerte mich an meinen Versuch mit der Leiche Wolls. Was für eine Sauarbeit musste
es gewesen sein, ihn im gefesselten Zustand in die Höhe zu hieven. Vielleicht
hatte er sich gewehrt. Sicher, es lohnte sich: Oben schützte ihn die
Bretterverschalung vor Entdeckung. Andererseits hätte er sich durch Rufen
bemerkbar machen können, er war ja nicht geknebelt gewesen.
    Fröstelnd nahm ich auf dem Hochsitz Platz. Der Ausblick war
bemerkenswert: freie Sicht auf den Königstuhl, in den Odenwald hinein bis
hinüber zum Katzenbuckel, auf Kuppen und Täler und auf ein riesiges, graues
Himmelszelt. Dann ein Motorengeräusch. Es kam aus der Tiefe des Neckartals,
arbeitete sich in Schleifen nach oben. Sie nahmen denselben Weg von Schlierbach
herauf wie ich Ewigkeiten zuvor. Vorsichtig stieg ich von meinem Aussichtsplatz

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