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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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herab. Wenn Woll tatsächlich auf dem Hochsitz deponiert worden war, hatte er
sich aus lauter Verzweiflung, gefesselt und durchfroren, über die Bretter
gewunden und war vier, fünf Meter in die Tiefe gestürzt. Ohne eine Möglichkeit,
den Sturz abzufangen.
    Ich zog meine Jacke wieder an und ging dem Autokorso
entgegen. Bei Wolls Leiche blieb ich stehen. Woll war allein, ich war allein,
aber sie kamen in voller Mannschaftsstärke. Kommissare, Streifenpolizisten,
Kriminaltechniker, Polizeiarzt, Fotograf, sogar ein Forstbeamter. Greiner und
Sorgwitz schmissen die Türen ihrer Wagen hinter sich zu, als handle es sich um
die erste Disziplin eines Mehrkampfs, ich erkannte den Schnauzbart mit der
cleveren Nichte wieder und den Kleinen, der die Musik in Barth-Hufelangs
Wohnung ausgestellt hatte. Nur einer fehlte: Kommissar Fischer.
    Auch ohne ihn kam die Polizeimaschinerie in Gang.
Absperrbänder wurden entrollt, Kameras gezückt, die Kriminaltechniker
schlüpften in ihre weißen Kampfanzüge, der Polizeiarzt öffnete sein Köfferchen.
Es wurde gemessen, beschriftet, diktiert, kontrolliert. Ob das Verhalten von
Kommissar Greiner ebenfalls täglicher Routine entsprang, kann ich nicht
beurteilen. Jedenfalls kam der Rottweiler mit einem idiotischen Lächeln auf
mich zu und blies nebenbei den Inhalt eines Nasenlochs ins Gebüsch. Als er mich
erreicht hatte, verschränkte er die Arme vor der Brust, legte den Kopf schief
und musterte mich. Dann nickte er in Richtung Leiche und sagte: »Was haben Sie
da schon wieder angestellt, Koller?«
    »Eine kleine Radtour.«
    »Radtour nennen Sie das? Da bin ich aber froh, dass ich nicht
dabei war.«
    »Sie hätten den Anstieg auch nicht geschafft.«
    »Träumen Sie weiter«, lachte er auf. »So, und nun erzählen
Sie mal, was passiert ist.«
    »Vielleicht sollten wir auf Ihren Chef warten. Damit ich
nicht alles zweimal herbeten muss.«
    »Kommissar Fischer scheint der momentanen Situation nicht
recht gewachsen. Kein Wunder, bei Leuten wie Ihnen.«
    »Und Ihr siamesischer Zwilling?« Sorgwitz stand in einiger
Entfernung und tippte finster auf einem Handy herum. Die Blicke, die er uns
zuwarf, gefielen mir nicht.
    »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf«, raunte Greiner, »dann
kommen Sie Chris heute nicht zu nahe. Er kocht.«
    »Sicher nur mit Wasser.«
    »Ich habe Sie gewarnt. Wenn er Sie in die Finger bekommt, hat
Heidelberg einen Privatdetektiv und ein Problem weniger. Und nun schießen Sie
los.«
    Ich tat ihm den Willen. Berichtete haarklein, was passiert
war, ließ nichts aus, nur meinen Ausflug zum Emmertsgrund verschwieg ich. Dafür
erklärte ich meinem argwöhnischen Zuhörer, wie es Woll geschafft hatte, nach
Beendigung seines Erdendaseins vom Hochsitz auf den Waldweg zu gelangen. Auch
auf die Gefahr hin, mich lächerlich zu machen.
    »Wie bitte?«, sagte der Kommissar. »Sie haben die Leiche
hierher getragen? Warum das denn?«
    »Ich dachte, er sei vielleicht noch am Leben.«
    Greiner warf der Leiche einen verblüfften Blick zu. »Mein
Lebtag habe ich nichts Toteres gesehen als diesen Typen hier.«
    »Er hat sich bewegt.«
    »Bewegt, der? Wollen Sie mich verarschen? Was soll sich denn
da bewegen?«
    »Gestöhnt hat er auch. Mensch, Greiner, Sie brauchen mir
nicht zu glauben, aber einen kurzen Moment lang dachte ich, Woll wäre noch zu
retten. Ein Reh ist mein Zeuge.«
    »Und warum rufen Sie dann nicht den Notarzt?«
    »Deswegen.« Ich warf ihm mein entladenes Handy zu. Er
betätigte ein paar Tasten, dann öffnete er zur Kontrolle den Batterieschacht.
    »Sagen Sie mal«, wandte er sich dem Polizeiarzt zu. »Der Kerl
ist doch tot, oder?«
    »Toter geht nicht.«
    »Und seit wann? Wie lange liegt der schon hier draußen?«
    »Ich bin kein Experte für
Tiefkühlkost«, knurrte der Arzt. »Wahrscheinlich wurde er gestern im Laufe des
Tages in den Wald gebracht. Tot ist er seit mehreren Stunden. Fragen Sie mich
bloß nichts Genaueres.«
    Greiner gab mir mein
Handy zurück. »Sie haben also nichts Besseres zu tun, als einen Toten durch die
Gegend zu tragen. Zufälligerweise denselben Menschen, dem Sie eben einen Besuch
abstatten wollten.«
    »Richtig.«
    »Das glaube ich Ihnen nicht.«
    »Dann lassen Sies. Ich kann nur sagen, wenn sich die Polizei
früher um den Verbleib von Woll gekümmert hätte, wäre er jetzt vielleicht noch
am Leben.«
    »Mir kommen die Tränen. Ist das hier der übliche Weg zu Wolls
Wohnung?«
    »Der übliche nicht. Aber

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