Schlussakt
gläsernen Kasten saß
ein schnauzbärtiger Pförtner, der meinen Gruß wortlos erwiderte. Der Weg ins
Vorderhaus führte mich über einen kleinen, zugeparkten Innenhof, dann hinunter
ins Kellergeschoss und in ein unterirdisches Labyrinth. Ich folgte einem
niedrigen, geweißelten Gang, an dessen Decke dicke Heizungsrohre entlangliefen.
Es war warm und stickig hier unten, Neonröhren flackerten. In der Ferne hustete
jemand so erbärmlich laut, dass es von den Wänden widerhallte. Immer wieder
zweigten rechts und links neue Gänge ab, ebenso niedrig wie meiner, ebenso
abweisend. Ausrangierte Möbel standen im Weg, zum Teil mit einer Inventarnummer
versehen. Ich las die Aufschriften auf den vielen Türen, die ich passierte:
Heizungskeller, Requisite, Dusche Damen. Gut, dass mich rote und blaue Pfeile
sicher zum Ziel lotsten.
Im Lichthof zwischen Verwaltung und Bühnenhaus tauchte ich
aus den Katakomben auf. Leise schloss ich die schwere Stahltür hinter mir.
Niemand war zu sehen, die Garderoben lagen verlassen da. Keine Vorstellung an
diesem Nachmittag. Ich durchquerte den Raum und erklomm leise die Wendeltreppe,
die in den Verwaltungstrakt führte. Vor einer Tür im ersten Stock hielt ich
inne. Aus dem Zimmer des Generalmusikdirektors drangen erregte Stimmen. Ich
erkannte die des Rottweilers. Der Krisenstab tagte.
Ein Stockwerk darüber herrschte Totenstille. Nur die Dielen
knarrten hin und wieder unter meinen Schritten. Nagels Dienstzimmer war
verschlossen und polizeilich versiegelt, dafür standen die Türen zu den
Überäumen sperrangelweit offen. Auch die Tür zu dem Raum, in dem wir mit dem
Gnom aus Waldwimmersbach gewartet hatten. Zwischen den Türpfosten war
rot-weißes Flatterband angebracht, weitere Maßnahmen hatte man nicht für nötig
erachtet. Einladend stand das Klavier da und wartete, dass auf ihm gespielt
wurde.
Ich duckte mich unter dem Band durch, stellte mich vor das
Instrument und drückte wie am Abend zuvor vorsichtig eine Taste nieder. War
wohl die falsche Taste. Ich nahm die daneben, dann eine andere und noch viele
weitere. Aber da war kein Blut mehr, nirgendwo. Es war fort, verschwunden,
weggewischt.
Erst überlegte ich eine Weile. Dann nahm ich das Klavier
genau unter die Lupe, nicht nur die Tastatur, sondern auch den hochgeklappten
Deckel, den eigentlichen Korpus, alles. Ich schaute sogar in das Innere des
Instruments. Fand nicht einen Blutspritzer.
Interessant.
Als ich den Überaum zehn Minuten später verließ, war ich so
in Gedanken versunken, dass ich nicht auf meine Schritte achtete. Dieselben
Dielen wie zuvor gaben dieselben hässlichen, knarrenden Geräusche von sich. Die
Klinke der Tür zum Treppenhaus schon in der Hand, schaute ich zu Nagels Zimmer
hinüber. Schade, dass es verschlossen war. Einen Blick hätte ich gerne
hineingeworfen.
Stattdessen warf ich einen Blick durch das Sichtfenster der
Treppenhaustür und sah jemanden nach oben kommen. Den weißblonden Kampfhund,
angelockt durch meine Dielenkatzenmusik. Rasch verdrückte ich mich in die
benachbarte Toilette und wartete.
Ich hörte, wie der Polizist das Stockwerk betrat, wie er
stehen blieb, um sich umzusehen und zu lauschen. Langsam ging er von Raum zu
Raum, schaute hinein, summte leise vor sich hin. Einmal räusperte er sich. An
der Toilette ging er vorbei. Er überprüfte, ob Nagels Zimmer noch verschlossen
war, kehrte summend zur Treppenhaustür zurück.
Und dann betrat er die Toilette doch. Ich stand in der
einzigen Kabine und hielt den Atem an, während der Kampfhund seinen Hosenstall
öffnete und sich vor das Pissoir stellte.
»Mann, Mann, Mann«, sagte er seufzend.
Ich hätte natürlich in meinem Versteck warten können, bis er
sich verzog. Aber was, wenn ihm plötzlich einfiel, die Kabine zu kontrollieren?
Er wäre nicht der Erste, dem beim Pinkeln die besten Gedanken kommen. Außerdem
konnte ich den Atem nicht ewig anhalten. Also verließ ich mein stilles Örtchen,
gab dem Kerl einen jovialen Klaps auf die Schulter und machte mich davon. Mehr
als ein hilfloses Röcheln brachte er in seiner Überraschung nicht zustande.
15 Sekunden später stand ich heftig atmend vor dem
Verwaltungsgebäude auf der Straße, während der wackere Kriminalkommissar zwei
Etagen über mir einen echten Interessenkonflikt austrug: Wasser lassen oder
Koller fassen? Man sollte den Bullen das dauernde Kaffeetrinken verbieten.
Kurz darauf schlugen die Vorhänge eines Windfangs
Weitere Kostenlose Bücher