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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Landstraße und Bahnlinie, dann geht es schnurstracks in die Höhe: Wohnhäuser
und Sträßchen, übereinandergeschachtelt wie beim Weinbau an der Mosel. Nur die
Sonne ist seltener Gast in Schlierbach. Man mag diese Lage malerisch nennen
oder pittoresk, vielleicht auch beängstigend; wer hier ganz oben wohnt, kann
immer noch problemlos in den Fluss spucken, und wenn der Steilhang bei einem
Unwetter ins Rutschen kommt, muss es ja nicht das eigene Haus treffen.
    So viel zu Schlierbach.
    In Schlierbach wohnte außerdem Bernd Nagel. Und wenn ich ihm
und seinem Allerheiligsten schon einmal so nahe war, wollte ich diese
Gelegenheit nutzen. Wollte sehen, wie er lebte, wie er sich eingerichtet hatte
in seinen zwei Heidelberger Jahren, welche Bilder an seiner Wand hingen, welche
Zeitschriften auf seinem Schreibtisch herumflogen. Was waren seine Interessen
jenseits der Musik? Welchen Dingen schenkte er sonst seine Aufmerksamkeit?
Davon abgesehen gab es eine Menge Fragen, die ich ihm stellen wollte, selbst
wenn dafür später noch Zeit war.
    Aber ich hatte erneut Pech. Nagel war nicht zu Hause. Von
Marc wusste ich, dass er sich ganz oben im Klingelhüttenweg eine Haushälfte
gemietet hatte. Auch für Schlierbach gilt das alte Heidelberger Gesetz: Mit
jedem Meter über dem Neckar steigen die Mietkosten. Dabei war das Haus nicht
einmal ansehnlich, ein schlichter 60er-Jahre-Bau mit gepflegtem Vorgarten, und
nur die Fahrzeuge an der Straße und in den Carports verrieten etwas über die
Einkommensverhältnisse der Anwohner. Die Klingelhüttenstraße war nett
anzuschauen, stand aber eindeutig im Schatten des parallel verlaufenden
Schlosswolfsbrunnenwegs.
    Ich läutete dreimal, versuchte durch ein Fenster zu linsen
und gab es schließlich auf. Im Nachbarhaus, das sich hinter dichtem Baumbewuchs
verbarg, schlug ein Hund an. Sein
hartnäckiges Bellen verfolgte mich noch lange.
    Über den
Schlosswolfsbrunnenweg fuhr ich zurück in die Stadt. Ja, das war tatsächlich
eine andere Liga. Hier standen nicht einfach Villen an der Straße, diese Villen
hatten Vorbauten, Treppenaufgänge, Mauerwerk, das sie schützte, sie ließen die
Muskeln spielen, fletschten die Zähne, verschanzten sich. Der
Schlosswolfsbrunnenweg war kein Ort, an dem man verweilte, um bauliche Eleganz
zu bewundern oder ein interessantes architektonisches Detail. Hier wurde man
fortgeknurrt, abgewiesen: Was geht uns der Rest der Welt an? Was haben wir mit
den Altstädtern, Wieblingern, Afrikanern zu schaffen? Haut ab und lasst uns in
Ruhe!
    Das tat ich. Sollten sie
ihre Ruhe ha ben. Irgendwo fiel ein Rollladen krachend nieder. Ich gab
meinem Rad die Sporen und fuhr in die Stadt zurück.
    Zu Hause angekommen, erwartete mich ein blinkender
Anrufbeantworter. Eine Nachricht von Christine, meiner Ex-Frau: Aus irgendeinem
wichtigen Grund, den ich auf der Stelle wieder vergaß, hatte sie ihre Mutter
besuchen müssen. Sie grüßte mich ganz, ganz lieb und erinnerte mich an mein
Versprechen, demnächst etwas mit ihr zu unternehmen. Kino wäre prima, schick
essen gehen noch besser. Ich löschte die Aufnahme.
    Der zweite Anruf kam von Marc Covet: Er wollte sich um 18 Uhr
mit Bernd Nagel in der Hinterbühne treffen. ›Hinterbühne‹ war ein gutes
Stichwort; ich rief ihn zurück, sagte, dass ich käme, und ließ mir beschreiben,
wie man den Theaterkomplex durch den Hintereingang betrat.
    »Dann bis na chher«, sagte
ich und legte auf.
    Anschließend war Frau von
Wonnegut dran. Als ich ihr meine Bereitschaft erklärte, den Auftrag zu
übernehmen, fiel sie mir telefonisch um den Hals, nannte mich einen Schatz,
einen Pfundskerl und noch weitere altmodische Dinge, was sie aber nicht davon
abhielt, mit demselben Schatz knallhart um das Honorar zu feilschen. Das zähe
Luder kämpfte um jeden Cent! Aber alles im Ton reinster Menschenliebe. Es
fehlte nicht viel, und ich hätte ihr die Brocken hingeschmissen.
    »Ich freue mich auf unsere
Z usammenarbeit, Herr Koller«, säuselte sie am Ende.
    »Sie mich auch«, murmelte ich in mich hinein.

Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

6
    Wer vom Heidelberger Stadttheater spricht, meint
damit einen Komplex ineinander verschachtelter Gebäude, die von einer
Altstadtstraße bis zur nächsten reichen. Der Haupteingang befindet sich in der
Theaterstraße, der Hintereingang in der weiter westlich gelegenen
Friedrichstraße. Diesmal wählte ich letzteren. In einem

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