Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
Vom Netzwerk:
guten Gewissens schreien
zu können. Das permanente Heulen aus dem Handy machte einen ganz kirre.
    »Du, ich stehe gerade an der Autobahn«, rief Fatty.
    »Ach nee.«
    »Doch, ehrlich. Raststätte Weil am Rhein, oder wie das heißt.
Es gibt hier noch einen gemeinsamen Abschiedsumtrunk, dann gehts nach Hause.
Sehen wir uns heute Abend? Im Englischen Jäger ?«
    »Wo?« Nun war ich wirklich unsicher, ob ich ihn richtig
verstanden hatte. Fatty ist alles andere als ein Freund meiner Lieblingskneipe.
Das Bier ist ihm zu warm, die Leute sind ihm suspekt, die Stühle zu wacklig,
und all das stimmt ja auch. Außerdem lästern sie dort gerne über Dicke. Wenn er
also von sich aus diesen Treffpunkt vorschlug, dann sprach das entweder für
außergewöhnlich gute Laune, oder irgendetwas Besonderes musste vorgefallen
sein.
    »Im Englischen Jäger «, wiederholte er bereitwillig.
»Bei deinen Komatrinkern. So gegen neun, was meinst du?«
    »Ja, gerne. Nein, Moment, mir fällt etwas ein. Lass uns in
die Ölmühle gehen, einverstanden?«
    »Meinetwegen«, schallte mir seine fröhliche Stimme aus Weil
am Rhein entgegen. »Heute passt alles. Dann um neun in den einstürzenden
Altbauten. Bleib sauber.«
    Die Stille des Berghangs hatte mich wieder. Ärgerlich steckte
ich das Handy ein. Warum hatte ich das blöde Ding überhaupt mit in die Natur
geschleppt? Sofort wird man abhängig von dem Zeug.
    Zwei Stufen der Himmelsleiter auf einmal nehmend, kehrte ich
zu meinem Rad zurück. Fatty hatte sich vor einer Woche einer
Volkshochschulgruppe angeschlossen, um in der Schweiz Ski zu fahren. Wenn sie
nun in einer Autobahnraststätte feucht-fröhlichen Abschied voneinander nahmen,
schien es ja ein erfüllter Urlaub gewesen zu sein.
    Die Plattform war menschenleer, als ich oben ankam. Ich
schnäuzte mir kräftig die Nase, bestieg mein Rad und fuhr los. Über den
Königstuhlweg zum Kohlhof und weiter nach Waldhilsbach, dem Wohnort meiner
Ex-Frau. Ich besuche sie dort in unregelmäßigen Abständen, aber niemals
vorangemeldet. Das würde sie nämlich von einer Verlegenheit in die nächste
stürzen. Sie würde sich schick machen, ihre Wohnung herrichten, Leckereien
vorbereiten, Kerzen anzünden – und sie würde kein vernünftiges Wort herausbringen.
Kam ich unangekündigt, war sie überrascht und verlegen, hatte die falschen
Kleider an, nichts zu essen im Haus und wenig Zeit. Aber dann benahm sie sich
wenigstens normal. Anfangs versuchte sie noch, dem entgegenzusteuern, indem sie
mich für einen bestimmten Tag einlud; ich kam dann entweder am Tag vorher oder
eine Woche später. Oder gleich gar nicht. Einmal, es muss vorletzten Sommer
gewesen sein, öffnete sie mir mit einem dümmlichen Lächeln, abgeschaut aus
einer Vorabendserie. Als sie sah, wer vor ihrer Tür stand, entglitt ihr das
Lächeln wie ein falscher Bart, der einem aus dem Gesicht fällt, man hörte es
regelrecht zu Boden plumpsen vor lauter Schreck. Nicht einmal in diesem Moment
schaffte sie es, mich fortzuschicken, sondern bat mich herein, kochte mir
Kaffee, fragte mich, wie es mir ginge und all das. Während ich mich in ihren
abgewetzten Fernsehsessel lümmelte, schlich sie zum Telefon und bat ihren
damaligen Liebhaber wispernd, ein Stündchen später zu kommen, sie entschuldigte
sich, bat um Verständnis, sie könne ihren Ex-Mann doch nicht einfach … aber
auch der Typ am anderen Ende der Leitung konnte nicht einfach, er hatte
schließlich eine Frau oder Freundin, die belogen werden musste, da bereitete
ein Stündchen Verzug schon Probleme. Als Christine schließlich bleich und
abgekämpft in ihr Wohnzimmer zurückkehrte, war der Fernsehsessel leer und ihr
Ex-Mann längst wieder auf dem Weg Richtung Heidelberg.
    Hoffentlich hatte sie wenigstens die Kanne Kaffee für ihren
Harald warm halten können.
    Harald war nämlich ihr erster Liebhaber nach unserer
Trennung, nach einem langen Jahr voller Enthaltsamkeit und vergeblicher
Hoffnung, dass es mit uns vielleicht doch noch klappen könnte. Ihr Liebhaber
und ihr Chef, da erübrigt sich jeder Kommentar. Dass es mit den beiden nicht
lange gut ging, wunderte nicht einmal Christine. Harald ließ sich versetzen,
zuerst von ihr, dann von seinem Arbeitgeber, der Stadt Heidelberg. Er wurde
Leiter des Bürgeramtes in Kirchheim oder Pfaffengrund, während sich Christine
einem SAP-Programmierer, den sie in einem Fitnessstudio kennen gelernt hatte,
an die starke Brust warf. Und so weiter, die

Weitere Kostenlose Bücher