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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Geschichten ähnelten sich.
Inzwischen hatte sich der Kreis auf seine Weise geschlossen, denn Christines
aktueller Gefährte hieß ebenfalls Harald. Als Sozialdemokrat war er in der
richtigen Partei, er trieb regelmäßig Sport, machte also moralisch wie
körperlich einiges her, und doch hoffte meine Ex-Frau mehr denn je, dass ich in
einem Anfall von Eifersucht zu ihr zurückkehren würde, bevor sie sich für immer
an diesen tollen Hecht band. Gut, dass Harald verheiratet war, denn so würde er
die absehbare Trennung von Christine leichter verkraften.
    Leider bin ich nicht eifersüchtig. Dieses Gefühl ist mir
absolut fremd, im Gegenteil, ich gönne meiner Ehemaligen ihre Affären, auch
wenn sie mir das nicht glaubt. Soll sie sich amüsieren, soll sie ihren Spaß
haben, von mir aus können wir bis an unser Lebensende Freunde bleiben. Gute
Freunde, nicht mehr und nicht weniger.
    Christine war nicht zu Hause. Nach dreimaligem Läuten
schauten oben ihre Vermieter aus dem Fenster, winkten mir zu und berichteten,
dass die liebe Frau Markwart gestern in aller Frühe gefahren sei; wohin und bis
wann, wüssten sie nicht. Anders als sonst habe sie keinen Zettel hinterlassen.
Seltsam eigentlich. Da war doch hoffentlich nichts vorgefallen? Besorgt schaute
der Mann seine Frau an, die ratlos den Kopf schüttelte. Beide trugen
Sonntagskleidung: gebügeltes weißes Hemd, geblümte Rüschenbluse. Die Krawatte,
die der Alte liebevoll streichelte, war ein Geschenk der Metzgerinnung zum
50-jährigen Berufsjubiläum gewesen.
    »Wollen Sie nicht auf ein Tässchen Kaffee hereinkommen?«,
rief er mir zu.
    »Von der Schwarzwälder Kirschtorte ist auch noch was da«,
lockte seine Frau.
    Ich lehnte bedauernd ab. Auf ihre Schwarzwälder Kirschtorte
bin ich nur einmal hereingefallen. Nie wieder.
    »Ich darf keinen Kaffee mehr trinken«, sagte ich. »Hat mir
mein Hausarzt verboten.«
    »Das Herz?«, fragte der Mann mitfühlend.
    »Das Herz.«
    »Na, hören Sie mal, in Ihrem Alter«, rief die Frau empört.
»In dem Alter und schon Herzbeschwerden?«
    »Ja, eben«, sagte ich und radelte davon.
    »Wir haben auch koffeinfreien im Haus«, riefen sie mir
hinterher, aber ich tat, als hätte ich nichts gehört. Wer es am Herzen hat,
kann es auch an den Ohren haben. Insgeheim waren sie wahrscheinlich
erleichtert, die schöne Torte nicht mit dem Ex ihrer Mieterin teilen zu müssen.
    Für den Rückweg wählte ich eine alternative Route. Über einen
Waldweg erreichte ich das Kümmelbachtal, das in nördlicher Richtung nach
Schlierbach führt. Wieder wurde mir schnell warm. Ich überholte
Sonntagsspaziergänger mit Hunden und Kindern, der Wald roch nach frischen
Sägespänen. Am höchsten Punkt der Strecke, einer Wegspinne namens Hohler
Kästenbaum, legte ich eine Pause ein. Ich lehnte mein Rad an eine Bank und
wusch mein Gesicht in eiskaltem Brunnenwasser. Gerne hätte ich es von der
winterlichen Sonne trocknen lassen, aber die versteckte sich hinter dem
mächtigen Buckel des Königstuhls im Westen. Ein Fahrweg führte hinunter nach
Schlierbach und zum Neckar, ein weiterer in östlicher Richtung hinauf zum
Auerhahnenkopf. Hohler Kästenbaum, Linsenteicheck, Wildschützenschlag, das sind
alles schön klingende Namen, aber am besten gefiel mir immer noch die alte
Bezeichnung für den Auerhahnenkopf, wie sie auf dem Merian-Stich von 1620
überliefert ist: der Läuterungsberg. Ganz oben auf dem Läuterungsberg stand
früher der höchste Galgen Heidelbergs, und wer hier gehängt wurde, hatte sich
aufgrund der Nähe zum lieben Gott das Vorzimmer zum Paradies verdient.
    Die beiden alten Knacker, die eben von der Höhe herabkamen,
sahen so aus, als wollten sie sich lieber die goldene Wandernadel verdienen als
Logenplätze im Nirwana. Kniebundhosen, Schnürstiefel, in der Hand einen
knorrigen Stecken, über der Schulter einen altmodischen Umhang. Der eine von
ihnen, der mich an meinen Lateinlehrer erinnerte, zeigte die Richtung an, der
andere kritzelte im Gehen einen Notizblock voll.
    Als sie außer Sicht waren, hüllte ich mich wieder in
sämtliche Kleidungsstücke, derer ich mich zwischenzeitlich entledigt hatte,
schwang mich auf mein Rad und fuhr in Serpentinen bergab. Nach fünf Minuten
erreichte ich Schlierbach. Es ist der schmalste und steilste Ort weit und
breit, ein Terrassendorf am Nordhang des Kleinen Odenwalds, ohne Zentrum, ohne
Marktplatz, ohne Geschäfte. Unten lässt der Neckar gerade mal Platz für

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