Schlussakt
hinter mir
zusammen. Die 50 Meter zwischen Theater und Hinterbühne hatte ich im
Laufschritt zurückgelegt; von meinem beißwütigen Verfolger keine Spur. Die Hinterbühne ,
das inoffizielle Theatercafé und Marc Covets Zweitwohnsitz, verströmt den
Charme einer Baustelle, auf der Fliesenleger und Stuckateure mal eben ein
Päuschen eingelegt haben. Unlackierte Stühle, die Wände ohne Putz, von der
kahlen Decke hängen nackte Glühbirnen, außerdem sitzt man nicht gerade bequem.
Marc ist das egal, er schwärmt für das Whiskysortiment der Kneipe, und wer
wollte ihm da widersprechen.
Ich traf die beiden im Nebenraum. Schweigend saßen sie da,
vor halb leeren Gläsern, wie Männer, die kurz vor dem Aufbrechen sind. Ich
hängte meine Jacke an einen Kleiderhaken und ließ mich in einen Stuhl fallen.
»Tach zusammen«, sagte ich und grinste.
Bernd Nagel nickte. Seine linke Hand hielt eine brennende
Zigarette, die rechte suchte Halt an einem Martiniglas. Vor Covet stand der
obligatorische Whisky. Von einem hoffnungslos ausgedünnten Mädchen mit
traurigen blauen Augen ließ ich mir ein Pils bringen. Den ersten Schluck
widmete ich meinem neuen Freund, dem blonden Kampfhund. Immer wieder
erstaunlich, wie gut so ein erster Schluck schmecken kann.
»Nun, Herr Privatdetektiv«, sagte Nagel, »wie stehen meine
Aktien?«
»Ihre Aktien?«, gab ich zurück, den forcierten Spott seiner
Frage missachtend. »Das hängt von Frau von Wonnegut ab. Sind Sie im Bilde?«
»Marc hat es mir erzählt. Was für eine scheinheilige Alte!«
»Es wäre mir lieb, wenn Sie sich ihr gegenüber nicht anders
als sonst verhalten würden. Tun Sie so, als wüssten Sie nichts von dem
Auftrag.«
Er winkte ab. »Für mich ist die Frau gestorben.«
»Die auch?«, lag mir auf der Zunge. Stattdessen fragte ich ihn,
ob er sich in der Zwischenzeit an weitere Zeugen seines nächtlichen
Spaziergangs erinnert hatte.
»Bloß an den Koch der Ölmühle «, sagte er.
»An sonst niemanden?«
»Nein.«
»Gut. Ich werde das überprüfen. Natürlich wäre es besser …«
»Hören Sie, ich weiß selbst, was besser wäre«, fiel er mir
ins Wort. »Dass ich alle paar Meter wildfremde Passanten angehalten hätte, um
sie nach der Uhrzeit zu fragen und mir ihre Karte geben zu lassen. Habe ich
aber nicht. Und warum nicht? Weil ich unschuldig bin, darum.« Wütend stopfte er
seine Zigarette in einen Aschenbecher.
»Kommen wir zu Ihrer Ex-Freundin«, sagte ich ungerührt.
»Erzählen Sie mir, was für eine Frau sie war.«
»Fragen Sie doch den da«, entgegnete er.
Ich drehte mich um. Rudernd bahnte sich der übergewichtige Dirigent
mit dem Knebelbart seinen Weg durch die Kneipe. Als er schließlich an unserem
Tisch stand, schnaufte er schwer. Auf seiner Stirn glänzten Schweißperlen.
Bevor einer von uns ihn begrüßen konnte, schnellte seine Hand über den Tisch.
»Herzliches Beileid, Bernd«, sagte Barth-Hufelang feierlich.
»Sie wissen, es kommt von Herzen.«
»Danke«, murmelte Nagel. Er hatte sich erhoben und –
widerstrebend, wie mir schien – die Hand des Dicken ergriffen. »Wobei Sie doch
genauso … ich meine, Sie waren auch mit ihr …«
»Wenn jemand Annette nahestand, dann Sie. Sie kannten sie am
besten.« Der Dirigent ließ Nagels Hand nicht los, begann sie sogar mit der
freien Linken zu tätscheln, wobei er seinem Gegenüber fest in die Augen
schaute. Erst als sämtliche Kneipenbesucher Zeuge dieser heroischen Geste
geworden waren, gab er Nagel frei und nickte uns zu. »Guten Tag, die Herren.«
Covet bot ihm einen Platz an und stellte uns einander vor.
Meinen Beruf ließ er unerwähnt. Nun kam auch meine Hand in den Genuss, von
warmen, feuchten Fleischpolstern umschlossen zu werden. Barth-Hufelang musterte
mich eingehend, um zuletzt zu fragen: »Haben wir uns nicht …?«
»Wir haben«, nickte ich. »Gestern Abend, vor dem Zimmer von
Herrn Nagel.«
Er nickte nachdenklich. Legte ab, nahm Platz, strich sich
über das dunkle Bärtchen und schnaufte. Es war kein Schnaufen aus Anstrengung
mehr – wobei für einen Koloss von zwei Zentnern womöglich schon das Dasitzen
eine Anstrengung bedeutete –, sondern das dauerhafte Arbeitsgeräusch eines
Körpers, der ein lahmes Gaumensegel und eine überkippende Tenorstimme sein
eigen nannte. Keine guten physischen Voraussetzungen für einen Dirigenten
klassischer Musik.
»Die nächste Aufführung sollte mit einer Schweigeminute
beginnen«, sagte Barth-Hufelang.
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