Schlussakt
Zentrum von Bergheim, jeder merkte, unseren Ordnungshütern gehört
die Zukunft, es geht mächtig voran, so leicht kann denen keiner. Aber dann
wurde wieder gebaut, Immobilienhaie krallten sich das Gelände rund um das
Revier, errichteten schicke Mehrfamilienhäuser und Wohnsilos, legten Rollrasen
aus, verpachteten Bistros und Büroräume, strichen das große Geld ein. Bald
waren die Polizisten umzingelt von protziger Trendarchitektur, an der sich
Heerscharen von Fensterputzern abarbeiteten, während die grüne Farbe vom
hauseigenen Zweckbau zu bröckeln begann. In warmen Sommernächten veranstalteten
gutsituierte Nachbarn von ihrer Dachterrasse ein Kirschkernweitspucken auf die
Dienstfahrzeuge rund um das Polizeirevier Mitte.
»Traurig, nicht wahr?«, murmelte ich beim Aussteigen.
»Was?«
»Ach, nichts.«
Melancholisch gestimmt folgte ich dem Rottweiler. Unser
gemeinsamer Gang endete vor einer Tür im Erdgeschoss. Bevor er sie aufstieß,
ließ mein Begleiter den Griff einige wohldosierte Sekunden in seiner Hand
ruhen.
»Da sind wir«, raunte er. »Und immer auf gute Manieren
achten, Freundchen.«
Die zurückschwingende Tür gab den Blick in ein geräumiges
Büro frei. Drei Schreibtische, eine Handvoll Stühle, Aktenschränke an der Wand,
ein mannshohes Palmengewächs. Außerdem ein muskulöser Rücken. Er gehörte dem
blonden Spezi des Rottweilers und machte sich gut in seiner imposanten
Eckigkeit vor dem ebenso eckigen Fenster. Das Fenster ging auf den Hof des
Polizeireviers, der Kampfhund bewegte sich keinen Zentimeter bei unserem
Eintreten, und ich fragte mich, was so interessant am Anblick parkender Autos
war. Leise quietschend schloss sich zu meiner Rechten eine Tür. Aus den
Augenwinkeln hatte ich den massigen Schatten des leitenden Kommissars erspäht,
des missgelaunten Alten mit der ungesunden Gesichtsfarbe.
Der Rottweiler schob mich in die Mitte des Raums, drückte
mich in einen Stuhl und grinste. Irgendetwas schien ihm großen Spaß zu
bereiten. Schade, dass er das Vergnügen nicht mit mir teilte. Während der
Dunkelhaarige seinen Hintern auf einem der Schreibtische platzierte, wandte
sich sein Kollege um. Kraftvoll hob sich sein gestärktes Blondhaar von einem
weinroten Rollkragenpullover ab. Er musterte mich, ohne das Gesicht zu
verziehen. Das heißt, es verzog sich schon, aber das kam vom Mahlen seiner
kräftigen Kiefer, die einen Kaugummi malträtierten, als gälte es, die Welt oder
wenigstens die Kurpfalz zu retten.
»Guten Morgen«, sagte ich.
Keine Antwort. Der Kerl stand einfach da, fixierte mich, ließ
seine Kiefer kreisen. Seine Ohren waren klein und eng anliegend, die Lippen
blassrosa, die Augenbrauen kaum vorhanden. Die Bewegung seiner Kaumuskulatur
strahlte bis zum Nacken aus.
Hinter mir räusperte sich der Rottweiler. Über die Schulter
linsend sah ich, wie er seine Brille absetzte und sie mit einem gelben Tüchlein
zu putzen begann. An Sorgfalt war er dabei kaum zu überbieten. Zwei Meter vor
mir stand der verwaiste Schreibtisch des Kommissars, der im Nebenraum
verschwunden war. Auf dem Tisch ein Namensschild: ›Kriminalhauptkommissar
Fischer‹. So hieß der also. Der Vorname des Blonden war Chris, den des
Rottweilers kannte ich noch nicht.
Ich gähnte. Schlug die Beine übereinander, versuchte es mir
in dem harten Behördenstuhl so bequem wie möglich zu machen. Nach einer Weile
schloss ich die Augen und dachte an den Traum, aus dem mich der Rottweiler
gerissen hatte. Nacktmulle waren hässliche Tiere, kaum ein Zoo der Welt zeigte
sie. Aber sie besaßen eine beneidenswerte Eigenschaft: Sie waren
schmerzunempfindlich. Heute Morgen wollte ich ein Nacktmull sein.
Ich gähnte noch einmal. So schnell sollten mich die drei
nicht mürbe machen. Weil sie vermuteten, dass ich ein Langschläfer war, holten
sie mich vor acht aus dem Bett. Weil sie wussten, wie ich quasseln konnte,
bombardierten sie mich mit ihrem gesammelten Schweigen. Dabei rede ich gar
nicht gerne. Ist bloß Taktik. Also warteten wir. Hinter mir rieb ein Stofftuch
auf Brillenglas, zu meiner Linken wanderte ein Kaugummi schmatzend durch eine
Mundhöhle. Die Zeit wand sich wie ein Politiker vorm Untersuchungsausschuss.
Ich begann mich zu langweilen. Auch die beiden Wadenbeißer langweilten sich,
und Hauptkommissar Fischer ging wahrscheinlich im Nebenzimmer auf und ab und
langweilte sich am allermeisten. Irgendwann reichte es ihm, er riss die Tür
auf, schlurfte
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