Schlussakt
Weile herrschte Stille. Leo saß da wie ein Schuljunge,
der einen Eintrag ins Klassenbuch erhielt. Nun, vom Alter her war er ein
Schuljunge, nicht zu vergessen.
»Gut«, sagte ich schließlich. »Was ist mit dir? Hast du
Fragen an mich?«
Er schüttelte heftig den Kopf. Wollte nur noch weg. Ich zog
meinen Geldbeutel und gab ihm 50 Euro als Entschädigung für den
Verdienstausfall. Ein Dumpinglohn, ich weiß; aber ob die Nierzwa ihm mehr
gezahlt hatte? Ich würde Frau von Wonnegut die Summe als Spesen auf die
Rechnung setzen, und zwar mit größtem Vergnügen.
»Hau ab«, sagte ich. »Und
wenn du nicht willst, dass dich die Polizei erwischt, komm nie wieder hierher.«
Er nickte und huschte
durch die Tür in die Freiheit.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
11
In dieser Nacht schlief ich schlecht. Ich
träumte von einem Nacktmull im Heidelberger Zoo, dessen Käfig mit Satintüchern
ausgekleidet war. »Fütterung immer montags«, stand auf einem Schild, und der
Zoodirektor erzählte mir lang und breit, wie er das Vieh eigenhändig in der
mazedonischen Taiga gefangen hatte.
»Als ich ihn pfeifen hörte, wusste ich, er ist mein«, sagte
der Zoodirektor und warf mir über den Rand seiner Brille vorwurfsvolle Blicke
zu. »Am Pfeifen verraten sie sich, die Kleinen.«
Nachdenklich betrachtete ich den Nacktmull. Sein Gesicht kam
mir bekannt vor. Leichter Flaum kräuselte sich über seiner Oberlippe.
»Für 50 Euro gehört er Ihnen«, raunte mir der Zoodirektor zu.
»Sie können mit ihm machen, was sie wollen. Nacktmulle kennen keinen Schmerz.«
»Nur auf ihnen herumtreten darf man nicht«, hörte ich eine
Stimme hinter mir. Ich fuhr herum. Die blonde Schönheit aus dem Orchester! Mit
einer dicken Beule an der Stirn, als sei sie gegen eine Tür gerannt.
»Gehören Sie auch zum Zoo?«, stammelte ich. »Kann man Sie
besichtigen?«
»Die kriegen Sie aber nicht für 50 Euro«, mischte sich der
Zoodirektor ein. »Es sei denn, Sie spielten ein Instrument. Spielen Sie eins?«
»Ich kann nur Türklingel«, antwortete ich.
»Türklingel?«
»Hören Sie das nicht? Es läutet schon die ganze Zeit. Da,
jetzt wieder.«
»Zu Figaros Zeiten gab es noch keine Türklingel«, sagte die
Schöne.
»Es ist ja auch keine Operntürklingel. Sondern meine,
verstehen Sie? Die Klingel an meiner Wohnungstür.«
Und das stimmte. Sie war es wirklich. Ich quälte mich aus
meinem Bett, in dem ich mich unruhig hin und her geworfen hatte wie ein Stück
Holz in der Brandung. Der Wecker auf dem Nachttisch zeigte 7.20 Uhr an. Ich
warf mir einen Bademantel über und schlurfte zur Tür.
»Machen Sie auf, Koller! Ich weiß, dass Sie da sind.« Nanu,
diese Stimme kannte ich doch. Wo hatte ich sie zuletzt gehört? Im Zoo? Ich
öffnete. Und musste lachen.
»Wer hat denn Sie aus dem Zwinger gelassen?«, rief ich, bevor
der Mann draußen etwas sagen konnte.
Es war der Rottweiler, mein alter Freund, redlich um einen
finsteren Gesichtsausdruck bemüht. Statt einer Antwort straffte er sich, kniff
die Augen zusammen und hob die rechte Hand. Ein Zeigefinger entrollte sich,
bedächtig wie eine Sommerblume.
»Sie«, sagte der Rottweiler. »Sie kommen mit mir. Und zwar
jetzt.«
»Jetzt?«, gab ich zurück und sah belustigt auf die
Zeigefingerspitze, die sich mir entgegenstreckte.
»Jetzt. Mein Chef will Sie sprechen.«
»Nur sprechen? Ich stehe im Telefonbuch.«
Er räusperte sich. »Machen Sie bitte keine Schwierigkeiten,
Herr Koller. Es geht nur um eine kleine Unterhaltung.«
»Ich liebe Unterhaltungen. Bloß kriege ich vorm Frühstück den
Mund nicht auf.«
»Wir spendieren Ihnen sogar einen Kaffee. Echten
Automatenkaffee im Plastikbecher.«
»Na, dann. Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen.«
So oder ähnlich verlief der kleine Schlagabtausch, den ich
mir mit dem Jungkommissar leistete; wir führten ihn fort, während ich mich
anzog, während wir zu seinem Wagen gingen, um gemeinsam nach Bergheim auf die
andere Neckarseite zu fahren. Harmloses Geplänkel unter Halbstarken.
Am Ziel, dem Polizeirevier Mitte, angekommen, wurde ich
schlagartig von Trübsinn gepackt. Ich erinnerte mich an die Zeit, als die neuen
Gebäude aus dem Brachland an der Römerstraße emporwuchsen, als beim Richtfest
große Sprüche gemacht wurden und Lokalpolitiker mit stolzgeschwellter Brust in
die Kameras grienten. Da stand das neue Polizeirevier respektheischend, fast
unnahbar im
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