Schlussakt
U-Haft, und
Kommissar Fischer wartete händeringend auf einen Durchsuchungsbeschluss. Es war
völlig klar, was ich tun musste. Mir blieb gar keine andere Wahl. Fehlte bloß
noch ein Schlüssel, den ich entbehren konnte. Mein Kellerschlüssel zum
Beispiel. Als ich das Sekretariat verließ, baumelte er an der Stelle, an der
sich eben noch Nagels Haustürschlüssel befunden hatte.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
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Am Ende war ich froh, heil vor Bernd Nagels Haus
angekommen zu sein. Und zwar nicht wegen der Steigungen oder wegen des Wetters.
Die kalte Luft blies das Schulzsche Kippenaroma aus meinen Kleidern, die Fahrt
im Wiegetritt belebte den Ermittlergeist. In der letzten Kurve vor dem
Klingelhüttenweg jedoch verfehlte mich ein schwarzer Alfa Romeo mit Spoilern
nur um Haaresbreite. Raste talwärts, als sei der Teufel hinter ihm her. Weshalb
ich mich genau denselben, den Teufel nämlich, um meine liberale Gesinnung
scherte und die ganze verzogene Jugend ebenfalls dorthin wünschte, Heckspoiler
und verspiegelte Windschutzscheiben inklusive. Bevor ich abgestiegen war, um
dem Bruchpiloten ein paar Kraftausdrücke hinterherzuschicken, hatte der Alfa
die Talsohle erreicht. Wütend trat ich wieder in die Pedale, wütend erreichte
ich den 60er-Jahre-Bau, dessen eine Hälfte Bernd Nagel bewohnte, wenn er nicht
gerade in Haft saß.
Das Haus lag ruhig da,
nirgendwo brannte Licht. Dach und Vorgarten noch voller Schnee; hier oben
setzte der Tau mit Verspätung ein. Während ich mein Rad an einen Laternenmast
schloss, sah ich mich um. 50 Meter weiter räumte eine Frau den Gehsteig frei.
Von der anderen Straßenseite grüßte ein kleiner Schneemann. In den Fenstern hin
und wieder vergessene Weihnachtsdekorationen. Eine Atmosphäre von Stille und
Unschuld.
Nur das Auto störte. Der
alte Benz, der sich direkt vor Nagels Haus hin ter einen grünen Mazda
geklemmt hatte und einem meiner besten Freunde gehörte. Was hatte Marc Covets
Wagen hier oben verloren? Nichts, jedenfalls nicht mehr als das Rennrad eines
Max Koller. Besaß Marc einen Schlüssel zu dem Haus? Oder war Nagel wieder auf
freiem Fuß? Mir fiel kein Grund ein, warum mich Kommissar Fischer in dieser
Beziehung hätte anlügen sollen.
Und zu wem gehörten die Fußspuren dort im Schnee? Sie führten
vom Türchen im Jägerzaun bis zum linken Seiteneingang, dem Eingang Nagels: zwei
Spuren hin, eine zurück. Aber das Haus war dunkel. An einem trüben Wintertag
macht man Licht, wenn man am Nordhang wohnt. Zwei Spuren hin, eine zurück. Die
Nachbarn hatten ihr eigenes Türchen, ihren eigenen Zugang zum Haus. Der
Postbote? Ein Briefkasten hing am Zaun. Fischer und seine Leute?
Unwahrscheinlich.
Also Marc. Vorsichtig betrat ich das Gelände. Ich verglich
die Spur, die sowohl hin als auch zurück führte, mit der anderen, kam aber zu
keinem Ergebnis. Vor Nagels Haustür eine neue Überraschung: Die eine der beiden
Spuren führte weiter, hinter das Haus, bis zu einem rückwärtigen Fenster. Dort
endete sie. Der Hang stieg auf dieser Seite stark an. Von oben neigten sich
kahle Baumwipfel über die Dächer.
In dem Fenster klaffte ein
Loch. Nicht unten, sondern seitlich in halber Höhe. Genau an der richtigen
Stelle, falls man beabsichtigte, von außen den Hebel zu betätigen. Man musste
sich nur auf den Eimer stellen, der unter dem Fenster bereitstand, dann war die
Sache ein Kinderspiel. Wobei ich in diesem Fall die Beteiligung von Kindern
ausschloss. Ich äugte in die Küche, aber es war zu dunkel, um Einzelheiten zu
erkennen. Sollte ich ebenfalls hier einsteigen? Dann wäre mein toller Einfall
mit dem Schlüssel für die Katz gewesen.
Zurück zur Haustür. Leise kramte ich Nagels Schlüssel hervor
und horchte. Vielleicht sollte ich mir doch einmal eine Waffe besorgen. Ich
hatte bloß meine Hände und vage Erinnerungen an einen Selbstverteidigungskurs
aus meiner Anfangszeit als Ermittler. Besser als nichts. Vorsichtig drehte ich
den Schlüssel im Schloss und trat ein. Das heißt, ich versuchte einzutreten,
was nicht gelang, weil sich die Tür nur einen Spalt öffnen ließ. Irgendetwas
Schweres lag im Eingang, irgendeine träge Masse von der Größe und Schwere und
Konstitution eines Menschen.
Ich lugte durch den Spalt. Sah Schultern und einen Kopf.
Einen blutenden Hinterkopf, verschmierte dunkle Locken. Ich drückte den Körper
mit Gewalt nach innen, schob mich durch den Spalt
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