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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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eine andere Taktik
erproben. »Hören Sie, ich mache hier nur meine Arbeit«, sagte ich in der
Hoffnung, das könnte ihr imponieren. »Genau wie Sie. Und meine Arbeit besteht
darin, ein Gespräch mit Frau Schulz zu führen. Es ist dringend, verstehen Sie?
Meine Zeit im Flur abzusitzen, macht mir keinen Spaß.«
    ›Spaß‹ imponierte ihr jedenfalls nicht. Sie spulte ihr
sekretariatstypisches Abwimmelprogramm ab – Verständnis haben, abwarten,
Bescheid geben –, mit dem sie mich sanft, aber bestimmt auf meinen Stuhl zurückdrängte.
    Also die Neckar-Nachrichten zum Zweiten. Ich blätterte
vor und zurück, hatte alles gelesen, jede Vereinsnachricht, jede
Bildunterschrift, bis mir auffiel, dass da ein weiteres Gesicht abgedruckt war,
das ich kannte: der Unauffällige aus dem Kreis der fünf Ölmühlen -Jungs.
Bevor ich ihn entdeckte, hatte ich ihn dreimal überblättert. Und um was ging
es? Natürlich um ihre künstlerische Großbaustelle, das sagenhafte Projekt
namens aktion aesthetik . Sogar hier, in den braven Neckar-Nachrichten ,
stemmte es sich mutig gegen die Gleichmacherei der Großschreibung. Monatelang,
so hieß es in dem Artikel, habe der Berg gekreißt, jetzt sei er am Gebären. Der
Berg, das waren meine fünf Freunde, und der Unscheinbare ihr Vordenker. Sein
Name wurde genannt, aber ich schwöre, auch der entfiel mir sofort wieder.
Morgen Abend sollte ihr erster gemeinsamer Auftritt erfolgen, ein sensationell
provokanter Mix aus Vernissage, Bühnenshow und Installation im Karlstorbahnhof.
Von diesem Event erhoffte sich die gesamte Kunstszene Südwestdeutschlands ein
Fanal, eine Sogwirkung. ›Zurück zum Authentischen!‹ lautete der Schlachtruf der aktion aesthetik . Zurück zum Echten, Wahren, Unverfälschten,
Archetypischen. Mit diesen Vokabeln schossen die fünf wild um sich. Getroffen
wurde unter anderem der bemitleidenswerte Verfasser des Artikels, der vor der
stark munitionierten Übermacht irgendwann kapituliert und nur noch Zitate
mitnotiert hatte. Zwischen den Anführungszeichen kartätschten die Aktionisten
wild gegen alles, was über 35, unter 20, spießig oder liberal war, gegen den
Kunstbetrieb, gegen die Politik und gegen jede Art von Gleichmacherei. ›Elite
muss wieder sexy sein‹, gab ihr Überbaulieferant zu Protokoll. Für die nahe
Zukunft kündigte er eine Bücherverbrennung auf dem Marktplatz sowie die
rituelle Steinigung ausgewählter 68er-Ikonen an, und niemand, weder er noch der
hektisch mitnotierende Journalist, wollte ausschließen, dass diese Aktionen
irgendwie humoristisch gemeint seien.
    »Elite muss wieder sexy sein«, murmelte ich vor mich hin. Die
Sekretärin in ihrem Zimmerchen horchte auf. Ich war weder Elite noch sexy, also
ging mich das Ganze nichts an. Trotzdem ärgerte ich mich, dass ich die fünf am
Sonntagabend nicht hochkant aus der siechen Ölmühle geschmissen hatte.
Das hätte ich als sagenhaft sexy empfunden.
    Aber dann fing ich an zu überlegen. Neben dem Artikel waren
Auszüge aus dem Manifest der fünf Großmäuler abgedruckt. Sie zumindest nannten
es Manifest; ich nannte es das Gestammel hyperventilierender Muttersöhnchen.
Wie auch immer, ihr nassforscher Zynismus bekam in diesen Tagen einen
unangenehmen Beigeschmack. ›so es die kunst verlangt, hat blut zu flieszen‹,
las man da, oder: ›kultur für die masse ist das todesurteil der kultur‹. Ein
Schelm, wer Böses dabei dachte? Immerhin war Blut geflossen, das von Annette
Nierzwa nämlich. Und Barth-Hufelang hatte Musik für die Massen geboten, da
konnte Frau von Wonnegut sagen, was sie wollte. Im Prinzip blieben zwei
Möglichkeiten: Entweder man lachte über die fünf Schaumschläger – so, wie sie
selbst es vermutlich heimlich taten. Oder man nahm sie ernst. Und dann konnte
einem das Gruseln kommen. Was, wenn einer der Jungs den unauffälligen
Cheftheoretiker falsch verstanden und die glatt polierte Idee mit der Realität
verwechselt hatte? ›das schlechtangezogene muss getilgt werden‹, verkündete das
Manifest. Barth-Hufelang war bestimmt nicht schlechter angezogen als ich, aber
irgendwo musste man ja mal anfangen.
    Anfangen war ein gutes Stichwort. Ich schmiss die Zeitung auf
den Tisch zurück, erhob mich und schwor dem Stuhl im Gehen, dass er zum letzten
Mal in seinem verdammten Stuhlleben mit meinem Hintern Kontakt gehabt hatte.
    »Also, was jetzt?«, blaffte ich die Sekretärin an und zeigte
auf die Tür zum Nebenraum. »Holen Sie

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