Schlussakt
Frau Schulz raus, oder soll ich es selbst
tun?«
»Na, hören Sie mal!«
»Dann eben ich.« Ich ging zu der Verbindungstür, riss sie auf
und enterte das Allerheiligste des Stadttheaters. In meinem Rücken hörte ich
die Frau nach Luft schnappen. Ich warf die Tür ins Schloss, auf dass sie
ungestört weiterschnappen konnte.
Stille schlug mir entgegen. Ich stand da, spiegelblankes
Parkett unter, eine stuckverzierte Decke über und sechs konsternierte Gestalten
vor mir. Sie saßen auf Sofa und Stühlen, rauchten oder rauchten nicht, und alle
waren sie erschöpft von dem Versuch, Betroffenheit zu simulieren. Bestimmt
warteten sie seit Stunden darauf, dass ihnen ein Entschluss in den Schoß fiele.
»Entschuldigen Sie bitte die Störung«, sagte ich; einen
gewissen Befehlston konnte ich dabei nicht unterdrücken. »Ich muss dringend mit
Frau Dagmar Schulz sprechen. Sagen Sie mir einfach, wann das möglich ist, dann
bin ich sofort wieder draußen.«
Immer noch Stille. Sie sahen sich an. Mich oder sich,
jedenfalls glotzten sie. Dann ließ einer ein Räuspern hören, das in müdes
Gemecker überging. Der Hausherr persönlich, ich kannte ihn von dem Foto in den Neckar-Nachrichten .
Kastenförmige Stoppelfrisur, vor den Augen zwei schmale Brillenrechtecke, das
Hemd offen bis zur Brustbehaarung.
»Ist das ein Vorsprechen, von dem ich nichts weiß?«,
amüsierte er sich. »Was für eine Rolle präsentieren Sie uns da, junger Mann?«
›Junger Mann‹ mochte in diesem Fall sogar angebracht sein.
Frisur, Brille und Brustbehaarung täuschten nur im ersten Moment über das
fortgeschrittene Alter des Mannes hinweg. Als mich die Dramaturgin später
ebenso betitelte, war das hingegen Unsinn; auch wenn sie sich dem Ende rasend
schnell entgegenrauchte, war sie höchstens fünf Jahre älter als ich.
»Heißen Sie Schulz?«, fragte ich zurück. »Dagmar Schulz? Dann
sagen Sie mir bitte, wie lange ich meine Zeit noch mit Warten verplempern
muss.«
»Schon gut«, mischte sich die kleine Rothaarige neben dem
Intendanten ein. »Ich komme in fünf Minuten zu Ihnen.«
»Danke.« Ich nickte ihr zu und zog mich zurück.
Als sie kurz danach auf den Flur trat, sagte sie: »Es war gar
nicht schlecht, dass Sie reingeplatzt sind. Wir hätten die Kurve nie gekriegt.«
Es folgte der Rückweg durch das unterirdische Labyrinth, der
Aufstieg ins Vordergebäude und das Gespräch in Frau Schulz’ privater
Räucherkammer schräg gegenüber vom Zimmer des verstorbenen GMD. Mit dem
allgemeinen Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden schien es hier keiner so genau
zu nehmen, von der spitznasigen Sekretärin einmal abgesehen.
Jetzt stand ich also, während sie die Tassen spülte, vor
ihrem Schreibtisch und wählte die Nummer von Fischers Kommissariat. An der Wand
hingen ein paar Komponistenporträts, das Plakat mit den Tänzern in Unterhosen
und ein Foto aus Barth-Hufelangs Handschuhsheimer Wohnung. Glücklich lächelnd
stand der GMD neben dem Bechstein-Flügel, den Arm um die Schulter eines noch
dickeren italienischen Tenors gelegt. Die auf dem Flügel platzierte
Mozart-Büste grinste sich eins. Bestimmt hatten sich die beiden Dicken
anschließend jeder eine Familienpizza kommen lassen.
»Ja?«
»Morgen, Herr Fischer. Max Koller hier. Wie geht es Ihnen?«
»Beschissen.«
»Wegen Nagel?«
»Nein, wegen meinem Herzen. Zeit für mich, in Rente zu
gehen.«
»Dürfen Sie deshalb nicht mehr rauchen?«
»Ich darf weder rauchen noch trinken noch Luft holen. Nur
Polizeidienst schieben, das darf ich. Bis ich umfalle.«
»Fallen Sie ruhig. Die Herren Greiner und Sorgwitz werden
hinter Ihnen stehen und Sie auffangen.«
»Keine Sprüche. Was gibts?«
»Hören Sie, wenn Sie sich nicht wohlfühlen …«
»Keine Sprüche, habe ich gesagt!«, schnarrte er. »Schießen
Sie los!«
»Haben Sie die Tatwaffe im Mordfall Barth-Hufelang gefunden?«
»Nein.«
»Wissen Sie wenigstens, um was für einen Gegenstand es sich
handelt?«
»Nein.«
»Schade.«
»Ja.«
»Herr Fischer, ich verstehe ja, dass Ihnen Ihr Arzt zu
einsilbigen Antworten rät, trotzdem hätte ich …«
»Wir kennen die Tatwaffe nicht«, unterbrach er mich. »Der
Mörder muss sie mitgenommen haben, in der Wohnung befindet sie sich jedenfalls
nicht mehr. Aber wissen Sie, was mich interessiert? Etwas ganz anderes. Mich
interessiert, wer uns da im Handwerk herumpfuscht. Wer das Siegel an Annette
Nierzwas Wohnungstür erbrochen hat, zum
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