Schlussblende
die grobe Skizze, die der Vogelwart ihr gegeben hatte, mit einer Hand gegen den Ostwind und dessen nasse Fracht ab, um noch mal einen Blick darauf zu werfen. Sehr weit konnte es nicht mehr sein. Warum mußten diese verdammten Beobachtungsstände so versteckt liegen? Sie hatte bislang kaum einen Vogel gesehen, denn die waren viel zu schlau, um an so einem scheußlichen Tag aus ihrem Unterschlupf zu kommen.
Beinahe wäre sie an dem Beobachtungsstand vorbeigelaufen, so gut war der getarnt. Chris zwang sich, eine etwas freundlichere Miene aufzusetzen, und stieß die Lattentür auf. »’tschuldigung, daß ich einfach so reinplatze«, sagte sie zu den drei dichtgedrängten Gestalten, »finde ich hier Professor Stewart?« Sie sahen in ihren gefütterten Jacken, mit den um den Hals geschlungenen Wollschals und den Thermomützen einer wie der andere aus, Chris hätte nicht mal sagen können, wer Mann und wer Frau war.
Ein wattierter Handschuh kam hoch. »Ich bin Liz Stewart. Was gibt’s denn?«
Chris seufzte erleichtert. »Detective Sergeant Devine, Metropolitan Police. Könnte ich wohl ein paar Worte mit Ihnen reden?«
Die vermummte Gestalt schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Sonntagsdienst.« Was sich mit ihrem schottischen Akzent gleich doppelt so ruppig anhörte.
»Aber es ist ziemlich dringend.« Chris zog die Lattentür etwas weiter auf, so daß der kalte Wind eindringen konnte.
»Liz, sei so lieb und hör dir an, was die Frau will«, knurrte jemand, der Stimme nach ein Mann. »Wir werden ewig nichts entdecken, wenn ihr beide hier herumkeift wie die Marktweiber.«
Die Professorin drückte sich griesgrämig an den beiden anderen vorbei und folgte Chris nach draußen. »Dort unter dem Baum finden wir ein bißchen Schutz. Was gibt’s denn so Eiliges?«
»Sie haben vor zwölf Jahren in Manchester einen nicht aufgeklärten Mord bearbeitet an einem jungen Mädchen namens Barbara Fenwick. Erinnern Sie sich daran?«
»Das Mädchen mit dem zerquetschten Arm?«
»Genau die. Wir sind im Zusammenhang mit einer anderen Ermittlung auf den Fall gestoßen und glauben, daß wir es mit einem Serienmörder zu tun haben und daß Barbara das einzige Opfer ist, von dem die Leiche gefunden wurde. Dadurch gewinnt Ihr Obduktionsbericht aktuelle Bedeutung.«
Liz Stewart sagte barsch: »Das wäre am Montag morgen auch noch so gewesen.«
»Stimmt. Die Frage ist nur, ob das Mädchen, das der Täter im Augenblick in seiner Gewalt hat, bis dahin überlebt.«
»Ach so. Dann fahren Sie mal fort, Sergeant.«
»Sie sollen damals die Überlegung geäußert, allerdings nicht in Ihren Obduktionsbericht aufgenommen haben, daß Barbaras Arm möglicherweise durch eine Art Werkzeug zerquetscht wurde. Jedenfalls haben meine Kollegen den pensionierten Superintendent Scott so verstanden. Ist das richtig?«
»Das war meine Meinung, aber die beruhte lediglich auf einer Vermutung. Und was ich nicht sicher weiß, schreibe ich nicht in einen Obduktionsbericht. Vor allem dann nicht, wenn es sich etwas weit hergeholt anhört.«
»Aber wenn Sie ausdrücklich danach gefragt werden, was würden Sie dann sagen?«
»Wenn ich gefragt werde, ob es möglich wäre, lautet die Antwort, ja.«
»Gab es noch andere Dinge, die Sie nicht in den Obduktionsbericht aufgenommen haben, weil sie sich möglicherweise ein wenig weit hergeholt angehört hätten?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Könnte es sein, daß Sie Notizen über die Feststellungen angefertigt haben, die damals Anlaß zu Ihrer Vermutung waren?«
»O ja«, sagte Liz Stewart, als sei das selbstverständlich. »Auf die Weise kann die Staatsanwaltschaft, falls es später von Bedeutung wird, jederzeit darauf zurückgreifen.«
Chris schloß die Augen und schickte stumm ein Stoßgebet zum Himmel. »Haben Sie diese Notizen noch?«
»Natürlich. Und sogar noch was Besseres.«
Ohne zwingenden Grund verirrte sich an einem Samstag abend kein vernünftiger Mensch in das Café der Raststätte Hartshead Moor an der M62, aber gerade deshalb war es wie geschaffen für sie. Das Team, zu dem nun auch Chris Devine gestoßen war, hatte die Ecke ganz hinten mit Beschlag belegt, wo Raucher- und Nichtraucherzone aneinandergrenzten. Hier hatten sie die beste Chance, ungestört zu sein.
Leon machte einen deprimierten Eindruck, er war ein wenig neidisch auf Kay, weil sie – wieder mal – den Vogel abgeschossen hatte. Auch Simon zog eine finstere Miene, aber das hatte andere Gründe. Wer quasi auf der
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