Schlussblende
mit dem Mann reden, der seinerzeit den Fall bearbeitet hat.«
Tony ordnete die Blätter, die er den Akten entnommen hatte. »Ich weiß es zu schätzen, daß Sie mir helfen, Carol. Es ist mir klar, daß Sie dabei ein gewisses Risiko eingehen. Sie mußten es nicht tun.«
Sie verzog die Mundwinkel. Vielleicht war es anfangs als Lächeln gedacht, aber es hatte bestimmt auch etwas mit schmerzlichen Erinnerungen zu tun. »Sie wissen genau, daß ich’s tun mußte«, sagte sie. Daß sie es nicht fertiggebracht hätte, Tony im Stich zu lassen, weder dienstlich noch privat, mußte sie nicht hinzufügen. Und sie wußte, daß es umgekehrt genauso war.
Sie lieferten die Akten im Wachraum bei einem blutjungen Polizisten ab, der aussah, als könne er’s kaum erwarten, endlich dreißig zu werden. Carol bedachte ihn mit ihrem schönsten Lächeln. »Sagen Sie, der Officer, der seinerzeit den Fall bearbeitet hat, Detective Superintendent Scott … ich nehme an, er ist schon pensioniert?«
»Schon seit zehn Jahren.« Der Constable lud sich den Aktenstapel auf beide Arme und verschwand irgendwo hinter den Regalen, um die Akten wieder einzuordnen.
»Sie wissen nicht zufällig, wo wir ihn finden können?« rief Carol ihm nach.
Die Stimme hörte sich an, als käme sie aus einem Kellergewölbe, aber die Auskunft war klar und erschöpfend. »Wohnt weit außerhalb von Buxton. Die Gegend nennt sich Countess Sterndale. Da gibt’s nur drei Häuser.«
Es dauerte ein paar Minuten, in Erfahrung zu bringen, welche Richtung sie einschlagen mußten, Countess Sterndale war auf der Karte nicht eingezeichnet. Und daß es weit außerhalb von Buxton lag, stimmte auch. Nach fünfunddreißig Minuten Fahrzeit endete der Weg in einer von Bäumen gesäumten Wendeschleife. Vor ihnen lag ein etwas heruntergekommenes Queen-Anne-Herrenhaus, weiter links, hinter Kalksteinmauern, zwei geduckte Cottages mit tiefgezogenen Dächern. »Auf welches tippen Sie?« fragte Tony.
Carol zuckte die Achseln. »Kein Herrenhaus. Es sei denn, er hat’s geerbt …« Sie zeigte auf das rechte Cottage.
Tony hob den Türklopfer aus Messing an und ließ ihn fallen, das Echo hallte laut im Inneren wider. Schwere Schritte näherten sich der Tür, und vor ihnen stand ein breitschultriger Mann mit glatt zur Seite gekämmtem, eisgrauem Haar und einem schmalen Oberlippenbärtchen. Der Blickfang aller ländlich sittlichen Matinees in den Vierzigern, dachte Carol und setzte ein gewinnendes Lächeln auf. »Entschuldigen Sie die Störung, Sir, wir sind auf der Suche nach Exdetective Superintendent Scott.«
»Ich bin Gordon Scott«, sagte der Mann. »Und wer sind Sie?«
Das war der heikle Punkt. » DCI Carol Jordan, East Yorkshire Police, Sir, und das ist Dr. Tony Hill von der National Profiling Task Force.«
Zu ihrer Verblüffung hellte sich Scotts Miene sofort erfreut auf. »Hat das was mit Barbara Fenwick zu tun?« fragte er.
Sie sah Tony hilfesuchend an. »Wie kommen Sie darauf?« fragte der.
In Scotts Brust kollerte ein tiefes Lachen. »Auch wenn ich seit zehn Jahren nicht mehr aktiv mitspiele, wenn innerhalb von zwei Tagen drei Leute Einsicht in die Akten meines einzigen ungelösten Mordfalls nehmen, klingelt irgendwann bei mir die Alarmglocke.« Er führte sie in sein behagliches Wohnzimmer und deutete auf die Sitzgruppe aus Lehnsesseln vor dem Kamin. »Wie wär’s mit einem Drink? Meine Frau ist in Buxton einkaufen, aber einen Tee kriege ich notfalls hin. Oder lieber ein Bier?«
»Ein Bier wäre goldrichtig«, sagte Tony, aus Sorge, daß der Hausherr mit dem Tee wer weiß wie lange beschäftigt sein könnte. Carol nickte zustimmend. Ein paar Sekunden später schleppte Scott drei Dosen Boddington’s an, verscheuchte den dicken Kater von seinem Lieblingsplatz vor dem Fenster, ließ sich in den Sessel fallen und riß seine Bierdose auf. »Ich war froh zu hören, daß Sie die Suche nach Barbara Fenwicks Mörder wiederaufgenommen haben. Ich hab mich fast zwei Jahre mit dem Fall herumgeschlagen. Hat mich nachts nicht schlafen lassen. Ich werd nie das Gesicht der Mutter vergessen, als ich ihr die Nachricht überbringen mußte, daß wir Barbaras Leiche gefunden haben. Das verfolgt mich heute noch. Ich bin einfach den Gedanken nicht losgeworden, daß die Lösung zum Greifen nahe liegt und wir nur nicht darauf kommen. Als ich dann erfuhr, daß Ihre Profilergruppe … nun, ich muß sagen, das hat mir wieder Hoffnung gemacht. Wie sind Sie auf den Fall aufmerksam geworden?«
Da
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