Schlussblende
schob den Stuhl zurück und ging mit großen Schritten auf und ab. » MO bedeutet
modus operandi
, lateinisch. Die Art, etwas zu tun. Im Kontext mit polizeilichen Ermittlungen meinen wir damit die immer gleichbleibende Vorgehensweise des Täters. Als das Profiling noch in den Kinderschuhen steckte, hatten Polizisten und bis zu einem gewissen Grad auch Psychologen sehr grobgestrickte Vorstellungen von Serientätern. Das war für sie jemand, der jedesmal dieselben Dinge tut, um sein Ziel zu erreichen, meistens mit ungefähr demselben Ergebnis. Nur, ihr Handeln kann eskalieren. Zunächst gehen sie auf Prostituierte los, später zerschmettern sie Hausfrauen mit einem Hammer den Schädel.«
Er blieb stehen. »Je mehr wir dazulernten, desto klarer wurde uns, daß wir nicht die einzigen sind, die aus ihren Fehlern lernen. Zumal wir es bei Serientätern mit intelligenten, fantasiebegabten Verbrechern zu tun haben. Wir mußten uns also klarmachen, daß der Täter seinen MO schnell verändern kann und daß er das um so bereitwilliger tut, wenn der MO sich nicht als effektiv erwiesen hat. Dann paßt er die Mittel dem Zweck an. Nehmen wir an, er hat seinen ersten Mord durch Strangulation begangen, dabei aber festgestellt, daß das zu langwierig, mit zuviel Lärm und zuviel Streß für ihn verbunden ist, obwohl er ja eigentlich seine Tat genießen wollte. Also zerschmettert er das nächste Mal seinem Opfer mit einem Brecheisen den Schädel. Zuviel Blut. Also ersticht er das nächste Opfer. Und schon geht die Polizei davon aus, daß es sich wegen des unterschiedlichen MO um drei Täter handeln muß. Was sich aber nicht geändert hat, ist das, was wir die Handschrift des Täters nennen – die Signatur, abgekürzt das Sig.«
Tony setzte sich auf die Fensterbank. »Das Sig ändert sich nicht, weil es das
raison d’être
des Verbrechens ist. Das, woraus der Täter Befriedigung schöpft. Was aber gehört nun zu der sogenannten Signatur, der Handschrift des Täters? Im Grunde alle Details des Täterverhaltens. Sein Ritual. Die Elemente seiner Handschrift müssen vollständig gegeben sein, damit ihm das Verbrechen Befriedigung verschafft. Dinge wie: Zieht er sein Opfer aus? Stapelt er die Kleidungsstücke ordentlich übereinander? Trägt er den Opfern posthum Rouge auf? Lippenstift? Bringt er ihnen rituelle Verstümmelungen bei, indem er ihnen die Brüste, den Penis oder die Ohren abschneidet?«
Simon sah auf einmal etwas käsig aus. Tony fragte sich, wie viele Mordopfer er wohl bisher gesehen hatte. Er mußte sich ein dickeres Fell zulegen, sonst lauerten seine Kollegen unbarmherzig darauf, daß ihm am Tatort das Essen aus dem Gesicht fiel, und machten dann auch noch rüde Witze darüber.
»Ein Serienmörder«, fuhr er fort, »muß seine Handschrift gewissermaßen bis zum letzten Jota vollziehen, weil ihm erst dies Erfüllung bringt und seine Tat sinnvoll macht. Es hat etwas mit seinen Zwängen zu tun. Seinem Zwang, zu dominieren, Schmerz zuzufügen, bestimmte Reaktionen zu erleben und sexuelle Befriedigung zu erfahren. Die Mittel können variieren, das Ziel bleibt aber konstant dasselbe.«
Er atmete tief durch, um die Erinnerungen an die Variationen abzuschütteln, die er am eigenen Leib erlebt hatte. »Für einen Mörder, der seine Lustgefühle befriedigt, indem er seinem Opfer Schmerzen zufügt und es vor Qual schreien läßt, ist es unerheblich, ob er …« Seine Stimme bebte, er konnte die Bilder nicht bannen, die sich in seinem Gehirn festgehakt hatten. »… ob er …« Alle starrten ihn an. Er versuchte verzweifelt, die Erinnerungen zu verdrängen. »Ob er … sie fesselt oder … auf sie einsticht oder … oder …«
»Oder sie auspeitscht«, warf Shaz ein, um ihm zu helfen.
Tony nickte ihr dankbar zu. »Genau. Interessant, was Sie für niedliche Fantasien haben, Shaz.«
»Typisch Frau, häh?« Simon lachte dröhnend.
Ehe das Ganze in eine Flut von witzigen Bemerkungen ausarten konnte, fuhr Tony rasch fort: »Sie können es also mit zwei Leichen zu tun haben, die dem physischen Zustand nach einen völlig unterschiedlichen Eindruck machen. Aber wenn Sie den Tatort genau untersuchen, werden Sie auf bestimmte Dinge stoßen, die der Mörder vor oder nach dem Mord getan hat, weil er sie tun mußte, um den ultimativen Kick zu erleben. Und das ist dann die Handschrift, nach der Sie suchen.«
Er hatte sich wieder fest im Griff und sah die Officer der Reihe nach an, um sich zu vergewissern, daß alle ihn verstanden
Weitere Kostenlose Bücher