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Schlussblende

Schlussblende

Titel: Schlussblende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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es war nun mal eine Übung, und er mußte auch die Analysen der anderen mit der Gruppe diskutieren. Als das Nachmittagsseminar sich dem Ende zuneigte, glaubte er, Shaz anzusehen, daß sie allmählich anfing, den ersten Schock zu überwinden. Anfangs hatte ihre verzweifelte Miene deutlich widergespiegelt, wie sehr sie die nahezu einhellige Ablehnung ihrer These verletzt hatte. Davon war nichts mehr zu merken, aber nun meinte er, etwas anderes in ihrem Gesicht zu lesen. Etwas, was ihm ein bißchen Sorge machte: eine trotzige Entschlossenheit.
    Na gut, er mußte sich in den nächsten Tagen die Zeit nehmen, ihr ein paar anerkennende Worte über ihre gründliche Analyse zu sagen, was er freilich auch mit dem Rat verbinden wollte, künftig mit allzu gewagten Thesen so lange hinter dem Berg zu halten, bis sie genügend handfeste Beweise oder zumindest Indizien in der Hand hatte.
    Er bog von der Main Street in die enge Gasse ab, in der der Whitelocks Pub lag, ein altehrwürdiges Relikt aus der Zeit, als die City noch nicht nach halb sechs Uhr abends wie ausgestorben war. Und ehrlich gesagt, sah er diesem Treffen mit gemischten Gefühlen entgegen. Die Vergangenheit machte es Carol und ihm nicht leicht, einander unbefangen zu begegnen. Und gerade heute hätte er ihr eigentlich etwas sagen müssen, was sie bestimmt nicht gern hörte.
    Er bestellte an der Bar ein Glas Bitter und suchte sich einen ruhigen Ecktisch ganz hinten. Er schreckte nicht vor Risiken zurück, aber Shaz’ Fehler, nicht an die Möglichkeit zu denken, daß jemand aus Vance’ Fangemeinde oder seinem Begleitteam als Täter in Frage kam, hatte ihm erneut klargemacht, wie wichtig es war, sich auf hieb- und stichfeste Daten stützen zu können, bevor man sich aus der Deckung wagte. Shaz hatte ihn, ohne es zu ahnen, auf einen Gedanken gebracht. Aber er dachte nicht daran, mit seiner These herauszurücken, bevor er deren Richtigkeit eindeutig untermauern konnte.
     
    Eine halbe Stunde hatte Carol gebraucht, um den bohrenden Fragen der beiden Frauen von Tonys Task Force zu entrinnen. Eine Ahnung sagte ihr, daß die mit dem zwingenden Blick – Shaz – sie bis Mitternacht mit Fragen gelöchert hätte, wenn Carol sich zu guter Letzt nicht abrupt verabschiedet hätte.
    Sie stieß die Glastür des Pubs auf, sah Tony am Ecktisch auf sie warten, deutete den quer auf die ausgestreckte Hand gelegten Zeigefinger richtig und brachte ihm von der Bar ein frisch eingeschenktes Glas Tetley’s mit. Für sich selbst hatte sie ein kleines Helles genommen. »Ich muß fahren«, sagte sie erklärend.
    »Ich hab den Bus genommen. Cheers.« Er trank ihr zu.
    »Cheers. Tut gut, mit Ihnen hier zu sitzen.«
    »Ganz meinerseits.«
    Carol lächelte beklommen. »Ob wir uns wohl je gegenübersitzen können, ohne das Gefühl zu haben, daß noch jemand am Tisch sitzt?« Sie mußte das einfach loswerden. Es war wie das zwanghafte Verlangen, eine kaum verheilte Wunde aufzukratzen, obwohl sie wußte, daß sie sofort wieder bluten würde.
    Er sah weg. »Eigentlich sind Sie der einzige Mensch, bei dem ich dieses Gefühl nicht habe. Danke, daß Sie das Pub akzeptiert haben. Ich weiß, wenn’s darum geht, eine alte …« Er stockte.
    »Bekanntschaft?« schlug Carol mit bitterem Unterton vor.
    »Freundschaft«, hielt Tony dagegen.
    Nun war sie’s, die wegsah. »Ich hoffe es«, sagte sie. Es war nicht die ganze Wahrheit, das wußten sie beide, und es half ihr nur ein wenig über den Moment der Verlegenheit hinweg. Sie brachte ein unbefangenes Lächeln zustande. »Eine Ladung Dynamit, Ihre Baby-Profiler.«
    »Ja, nicht wahr? Ich vermute, Sie haben sofort entdeckt, was alle gemeinsam haben.«
    »Wenn auf Ehrgeiz lebenslänglich stünde, säßen sie alle hinter Gittern. Gleich neben Paul Bishops Zelle.«
    Er verschluckte sich fast an seinem Bier. »Ich sehe, Sie haben Ihren alten Killerinstinkt nicht verloren.«
    »Das riecht man doch auf Anhieb, wie Mundgeruch oder Testosteron in einem Nachtklub. Macht es Ihnen nichts aus, daß Ihre Officer in dieser Profilergruppe nur das Sprungbrett für eine glänzende Karriere sehen?«
    Tony schüttelte den Kopf. »Nein. Mag sein, daß sie große Rosinen im Kopf haben, aber wenn sie erst mal richtig drin sind, wird Profiling ihre zweite Liebe, und dann wollen sie nie wieder was anderes tun. Simon, zum Beispiel, der Bursche aus Glasgow. Er bringt das richtige Maß an Skepsis mit. Oder Dave. Aber der eigentliche Star wird Shaz werden. Sie weiß es noch nicht, aber

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