Schlussblende
sie hat sich schon am Profilervirus angesteckt, sie wird das Fieber nicht mehr los. Finden Sie nicht?«
Carol nickte. »Eine Workaholikerin. Sie kann’s kaum noch abwarten, in all die kranken Gehirne da draußen reinzukriechen.« Sie sah Tony mit schiefgelegtem Kopf an. »Wissen Sie, was?«
»Was?«
»Sie erinnert mich an Sie.«
Tony sah aus, als könne er sich nicht entscheiden, ob er gekränkt oder amüsiert reagieren sollte. »Komisch«, sagte er verwundert, »mich erinnert sie an Sie.«
»Wieso denn das?« fragte Carol erschrocken.
»Nun, diese Präsentation heute nachmittag. Die Siebenergruppe, die sie identifiziert hat – nicht schlecht, aber daß sie bei den Morden sofort auf Jacko Vance getippt hat, beweist eine derart blühende Fantasie, wie ich sie bisher nur einmal erlebt habe.« Er verdrehte bewundernd die Augen. »Bei Ihnen, bei dem Fall in Bradfield.«
Carol mußte über seine gekonnte Mimik lachen. »Aber ich hatte recht.«
»De facto, ja. Aber nur um den Preis, daß Sie gegen alle Gesetze der Logik und Wahrscheinlichkeit verstoßen haben.«
»Vielleicht hat Shaz genauso recht. Vielleicht sind wir Frauen bessere Profiler als ihr Männer.«
»Selbst wenn ich das zugebe, kann ich mir nicht vorstellen, daß Sie wirklich glauben, Shaz könnte recht haben.«
Carol verzog das Gesicht. »In einem halben Jahr habt ihr sie so verdorben, daß sie sich schämt, so was überhaupt laut ausgesprochen zu haben« Sie hob ihr Glas. »Trotzdem, auf Ihre Hokuspokus-Gruppe.«
»Könnte sein, daß wir schon lange im Himmel sind, bevor der Teufel überhaupt merkt, daß es uns nicht mehr gibt«, sagte Tony trocken und trank sein Glas in einem Zug aus. »Noch eins?«
Carol schielte auf die Uhr. Sie hatte es im Grunde nicht eilig, aber es war vielleicht besser, zu gehen. Wer weiß, wie lange es dauerte, bis die Vergangenheit sie einholte. Da war’s ihr lieber, die halbe Stunde im Pub in angenehmer Erinnerung zu behalten. »Tut mir leid, geht nicht. Ich will noch ein paar Worte mit den Jungs von der Nachtschicht reden, bevor die losschwirren.« Sie trank ihr Glas aus und stand auf. »War schön, daß wir uns mal wieder unterhalten konnten.«
»Find ich auch. Bis Montag haben wir was in Ihrem Brandstifterfall ausgearbeitet.«
»Großartig.«
»Fahren Sie vorsichtig«, sagte er, als sie sich umwandte.
Sie sah zurück. »Und Sie, passen Sie gut auf sich auf.«
Tony starrte eine Weile in sein leeres Glas und grübelte an der Frage herum, die ihn schon seit geraumer Zeit beschäftigte. Der sexuelle Kick – war das nicht auch bei Brandstiftern eines der häufigsten Motive? Als er merkte, daß die Idee eine Art Eigenleben entwickeln wollte, daß sie sich anschickte, sein ganzes Denken zu beherrschen, stand er auf, ging und lauschte auf dem Weg zur Bushaltestelle dem Echo seiner Schritte auf den leeren Straßen.
Es war nicht der Spott ihrer Kollegen, auch nicht Carol Jordans Versuch, sie mit ein paar aufmunternden Worten aufzurichten, es war Tonys Sympathie, die Shaz so sauer aufstieß. Statt die Qualität ihrer Arbeit anzuerkennen, hatte Tony sich hinter Freundlichkeit verschanzt. Sie hatte keine Lobeshymnen erwartet, aber sein kumpelhaftes Getue ärgerte sie. Erst recht, als er anfing, ihr Geschichten von den Fehlern zu erzählen, die ihm am Anfang seiner Profilerlaufbahn unterlaufen waren.
Wenn jemand ihr so kam, fühlte sie sich hilflos. Als einziges, ungewolltes Kind in einer Ehe, in der die Partner so aufeinander fixiert waren, daß sie die emotionalen Bedürfnisse ihrer Tochter kaum wahrnahmen, hatte sie schnell gelernt, ohne Zuneigung oder gar Zärtlichkeit auszukommen. Bei schlechtem Benehmen wurde sie gerügt, für gute Leistungen eher beiläufig gelobt und ansonsten einfach ignoriert. Die Wurzeln ihres Ehrgeizes reichten bis in eine Kindheit zurück, in der sie verzweifelt auf ein wenig Anerkennung durch ihre Eltern gewartet hatte. Ihre Lehrer waren sehr zufrieden mit ihr gewesen, aber auch bei denen hatte sie das Gefühl gehabt, jedes Lob sei im Grunde nur ein professionell berechnendes Schulterklopfen. Darum fühlte sie sich von Tonys Freundlichkeit, so ehrlich die gemeint sein mochte, eher verunsichert. Und wenn sie verunsichert war – das wußte sie –, ließ sie nicht locker, bis sie etwas erreicht hatte, das jedes Lob überflüssig machte.
Am Morgen nach ihrem Debakel hatte sie alle Hänseleien ihrer Kollegen mit stoischer Ruhe ertragen. Nein, sie war ihnen nicht aus dem Weg gegangen,
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