Schmeckt's noch?
drastische Zunahme der Allergien nicht mit unserem Essen in Verbindung zu bringen ist.
Bei vielen Hilfs- und Zusatzstoffen fehlen Langzeitstudien, doch ihr Einsatz wird von jenem anonymen Amt, dem wir die Verantwortung für unsere Gesundheit delegieren, als unbedenklich eingestuft.
Um Lebensmittel verkaufen zu können, müssen einige Prämissen erfüllt werden:
1. Sie müssen frei von Krankheitserregern sein.
2. Die Transportfähigkeit muss gegeben sein — sowohl vom Erzeuger quer durch Europa zum Handel als auch für Sie. Sie kaufen Lebensmittel an einem heißen Tag ein, besuchen mit Ihren Kindern ein Freibad, während die Lebensmittel in Ihrem aufgeheizten Auto liegen, und anderntags müssen die Produkte wie gewohnt schmecken.
3. In unserem Angebotssystem brauchen Lebensmittel eine lange Haltbarkeit, um das Abschreibungsrisiko für den Handel zu minimieren.
4. Nach all den Unwägbarkeiten müssen Lebensmittel immer noch so aussehen, dass uns der Speichel im Mund zusammenläuft, wenn wir sie sehen.
Meine zweite Gewissheit: Ohne Hilfs- und Zusatzstoffe können diese Versprechen nicht eingelöst werden.
Früher nannte man Lebensmittel auch Viktualien (lateinisch „vivere“ — leben). Viktualien waren Stoffe, die ihrer Definition entsprechend in unverändertem, zubereitetem oder verarbeitetem Zustand vom Menschen zur Ernährung und zum Genuss verzehrt wurden. Das heißt, sie haben uns ernährt und uns dabei noch Genuss bereitet.
Die EU-Verordnung 178/2002 definiert Lebensmittel wie folgt: Lebensmittel sind alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. (Artikel 2)
Sie sehen, in demaskierender Form wird im Zusammenhang mit Lebensmitteln auf den qualitativen Nährwert und Genuss verzichtet. Der Schritt vom handwerklich gefertigten Lebensmittel zur Massenware ist vollzogen. In der EU-Verordnung wird nur der Vollzug der heutigen Fertigungspraxis der Lebensmittel ausgedrückt.
Worin unterscheiden sich nun Viktualien und Massenprodukte? Anhand einiger simpler Grundnahrungsmittel möchte ich das exemplifizieren.
Brot
In dem Dorf, in dem ich aufwuchs, waren wir alle den Launen unseres Bäckers hilflos ausgeliefert. Ob er buk oder nicht und wann es frisches Brot gab, war nicht voraussehbar. Aber alle Versuche der Bäcker in den Nachbarsgemeinden, uns mit ihrem Brot zu versorgen, schlugen fehl. Ihre Zuverlässigkeit in der Zeit und die gleichmäßige Qualität überzeugten uns nicht, denn das Überraschende unseres Bäckers war: Wenn es dann Brot gab, war es von außerordentlichem Geschmack.
Im ganzen Land stellten die Bäcker auf Elektroofen um, und mit den aufkommenden Backmischungen bekam das Gebäck und das Brot einen Einheitsgeschmack. Unser Bäcker war ein Berserker. Er mahlte den Weizen und Roggen noch selbst. Sein Backtriebmittel war der Sauerteig, dem er Zeit gab, und er knetete den Teig von Hand. Den Ofen heizte er mit Holz. Wenn er warm genug war, kam die Glut heraus und die handgeformten Brote hinein. Seine Zutaten waren Mehl, Wasser, Salz, Sauerteig und seine Laune. Heute noch, Jahrzehnte später, ist mir der himmlische Duft seines Brotes in der Nase, der hinreißende Geschmack noch im Gaumen. Das in der Bibel erwähnte Manna habe ich schon als Kind mit unseres Bäckers Brot in Zusammenhang gebracht.
Ich glaube, ich habe es nicht ein einziges Mal geschafft, das Brot unseres Bäckers mit der verführerischen Krume unbehelligt nach Hause zu bringen. Seitdem suche ich nach dem nämlichen Brot, und immer wieder aufs Neue enthusiasmiert, unbelehrbar gehe ich unentwegt den Bäckern in die Falle.
Bäcker sind heute hoch qualifizierte Brot- bzw. Backtechnologen, die eine schier unendliche Fülle von Hilfsmitteln zur Verfügung haben. In unverpacktem Brot müssen die Zutaten sowie die Hilfs- und Zusatzstoffe nicht deklariert werden. Das heißt, wir erfahren nie und nimmer, was im Teig ist.
Brot zu backen ist ein industrieller Prozess geworden. Bei den meisten Bäckern liegen die Unterschiede nur noch im Maschinenpark und den Backmischungen. Viele arbeiten mit vorgefertigten Mehlmischungen, die alles beinhalten. Rationalisieren lautet auch hier das Zauberwort. Während mein Bäcker sich die Zeit für eine mehrstufige Sauerteigführung nahm und den Teig von Hand knetete, geht es bei vielen Bäckern ruck,
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