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Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road

Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road

Titel: Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Piccirilli
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die Versicherungsformulare aus. Sie zog das Klemmbrett näher an sich heran, damit er nicht ihren Namen oder die Adresse lesen konnte. Flynn fragte: »Ist Ihr Sohn gegen irgendetwas allergisch? Gegen Insektenstiche zum Beispiel?«
    »Was?«
    »Ihr Sohn …«
    In der Notaufnahme gab es einen Sicherheitsmann. Wenn zum Beispiel jemand rumnervte, nur weil er einen Schlaganfall hatte, konnte der Wachmann ihn verhaften und ins Krankenhausgefängnis stecken, bis er sich zu benehmen wusste. Zieh dir eine Nummer und stell dich hinten an. Du da, mit dem Schlaganfall, pflanz dich auf deinen Hintern.
    Dieser Sicherheitsmann kam auf Flynn zu. Er war groß und unbewaffnet, soweit zu erkennen war, aber er tat so, als könne er jederzeit einen Elektroschocker aus der Tasche ziehen. »Sir, haben Sie einen Notfall?«
    »Der Junge da, ich wollte nur fragen, ob …«
    »Sir, wenn Sie keinen Notfall haben, muss ich Sie bitten, die Notaufnahme zu verlassen.«
    Der Junge sah Flynn besorgt an. Seine Wangen wurden bleich, und die Tränen kullerten ihm hinunter. Die Mutter streckte die Hand aus, fasste ihn an der Schulter und drehte ihn weg. Der Sicherheitsmann baute sich vor ihm auf. Flynn fragte sich, ob irgendjemand hier
ihm zugutehalten würde, dass er nach achtundzwanzig Minuten auf dem Meeresboden von den Toten zurückgekehrt war. Er war immerhin Mr Miracle. Das schaffte bestimmt nicht jeder.
    Der Junge wurde allmählich blau im Gesicht. Wenn er atmete, klang es, als flüsterte er rückwärts.
    Im Raum schien es heller zu werden. Flynn hatte das Gefühl, als zögen sich seine Lippen zusammen. Er hatte Mühe, Luft zu bekommen. Ihm wurde flau, und fast wäre er vor dem Wachmann in die Knie gegangen.
    »Sir? Sir?«, wiederholte der Mann mehrmals, ohne auf die Idee zu kommen, ihm zu helfen.
    Das war nicht unbedingt das, was man sich unter einer Notaufnahme vorstellte.
    »Was würde Mitchum jetzt tun, hm?«, fragte Zero.
    Der alte Bobby hätte es vor allem gar nicht so weit kommen lassen. Genauso wenig wie Danny. Und genauso wenig wie Sierra. Wenn einen jemand festhält, haut man ihn um und gut. Flynn war entweder zu hart oder zu weich. Außerdem traute er dem Hund nicht. Er hoffte, dass er sich irrte.
    Die Mutter gab der Frau am Tresen die Formulare. Sie sah nicht aus wie eine Krankenschwester. Sie war einfach irgendjemand, der dort arbeitete, aber weder besonders offiziell noch seriös noch mitfühlend wirkte. Sie nahm die Papiere und wackelte mit ihrem hin und her schwingenden Pferdeschwanz davon. Der Junge flüsterte weiter vor sich hin. Flynn war fünf Meter von ihm entfernt, aber er hatte das Gefühl, einen Wassertropfen im Nacken zu spüren. Dem Jungen flossen die Tränen.

    Flynn war klar, dass er sich beherrschen musste, aber er war genügend sterbenskranken Kindern begegnet, die keine Chance gehabt hatten. Er wollte nicht, dass es noch eins mehr wurde. Selbst wenn er dafür im Krankenhausgefängnis landete.
    Er versuchte es noch mal. »Holen Sie einen Arzt, sofort!«
    »Sir …«
    »Gehen Sie aus dem Weg.«
    »Brauchen Sie einen Arzt? Haben Sie einen …?«
    »Aus dem Weg!«
    Flynn schlug dem dumpfen Wachmann mit der flachen Hand ins Gesicht und sah zu, wie er auf seinem Hintern landete und ihn ängstlich anstarrte. Mitchum hätte sich für Flynn geschämt. Ein echter Held kämpfte mit fiesen Schlägern, Schmugglern und mit der Mafia. Wenn man am Kap der Angst rumhing, knüpfte man sich erfolgreiche Anwälte vor, die einen für Jahre hinter Gitter gebracht hatten. Man stürzte sich nicht auf einen unbewaffneten Loser mit Mütze, dessen Unterlippe zitterte.
    Die Sache erledigte sich von selbst. Der Junge fiel nach hinten über, und erst jetzt sah Flynn seinen Hals, der so stark angeschwollen war, dass der Reißverschluss seiner Jacke sich ins Fleisch grub. Die Mutter drehte sich zu ihm um, als sähe sie zum ersten Mal, und sagte: »Jeff? Jeffie?«
    Flynn zog den Jungen in seine Arme und riss ihm den Reißverschluss auf. Offenbar half das, und Jeffie bekam wieder etwas Luft. Flynn hielt ihn fest und trat die Tür am Ende des Wartezimmers auf. Im Raum dahinter
standen Betten mit Patienten aufgereiht. Ärzte und Schwestern plauderten miteinander. Einer wandte sich Flynn zu und lächelte. Der Rest eines Grinsens über einen Witz, den gerade jemand erzählt hatte.
    Hinter ihm schrie die Mutter: »Mein Kind! Mein Kind!« Das hier war kein Film, das war echt.
    Flynn setzte den Jungen auf einen leeren Tisch und sagte: »Anaphylaktischer

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