Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road
Schock durch einen Spinnenbiss.«
»Wer sind Sie? Sie können hier nicht einfach reinkommen …«
Schön, dachte Flynn, endlich bekam er die Chance, jemandem den Kopf einzuschlagen, aber dann brüllte einer der Kollegen auch schon Befehle durch den Raum. Als er die Mutter fragte, was los sei, antwortete sie: »Ich weiß nicht, wer dieser Mann ist und wovon er redet. Mein Sohn hat Asthma! Er nimmt Azmacord, und sein Spray ist alle!«
Drei Ärzte und zwei Krankenschwestern zeigten auf Flynn, mehrere Stimmen sagten gleichzeitig: »Raus mit ihm.«
Jemand zog ihn sanft von hinten weg aus dem Raum. Flynn war überrascht, wie leicht er sich abführen ließ, sein Körper gehorchte vollkommen willenlos. Er drehte sich um und sah eine junge Frau, die ihn am Handgelenk gepackt hatte. Das Gesicht konnte er nicht erkennen. Ihr blondes Haar war lang und glatt, so wie die Frauen Mitte der Siebziger. Die älteren Schwestern seiner Freunde hatten es sogar gebügelt, damit es so glatt wurde. Ein paar von Dannys Freundinnen auch.
Patricia Waltz zum Beispiel. Sie hatte genauso ausgesehen.
Die Frau kannte sich hier aus. Sie umging die Notaufnahme und führte Flynn durch mehrere Flure zurück zu Shepards Zimmer. Ihre Handtasche schien schwer beladen und schaukelte so schwungvoll an ihrem Arm, dass er Angst hatte, sie zwischen die Beine zu bekommen. Sie lief entschlossen voran und drehte kein einziges Mal den Kopf nach ihm um. Ihr Gesicht hatte er immer noch nicht gesehen.
Als sie um die nächste Ecke bogen, blieb er abrupt stehen, um sich aus ihrem Griff zu befreien. Aber sie hatte gute Reflexe und blieb ebenfalls stehen, die Hand fest an seinem Handgelenk. Als er sich wieder in Gang setzte, lief sie sofort los und zog ihn weiter. Sie kamen in einen Warteraum mit Blick auf den Parkplatz. Es schneite wieder.
Endlich drehte sie sich um. Er kannte sie. Jessie Gray. Sie arbeitete als Reporterin für Newsday und hatte ihn korrekt zitiert.
»Gab es einen Grund für den Krawall eben?«, fragte sie und setzte sich auf einen Zweisitzer, sodass er sich neben sie hätte quetschen müssen. Er blieb stehen.
»Wahrscheinlich«, erwiderte er.
Sie trug Jeans, schwere Stiefel und eine Skijacke. Er vermutete, dass sie immer das Richtige trug, dass sie Schneeketten auf den Reifen und am Strand immer Sonnenschutzmittel dabeihatte. Ihr Blick war kontrolliert und manipulativ.
»Ich habe versucht, das Leben eines Kindes zu retten«, erklärte er ihr.
»Warum haben Sie geglaubt, er habe einen allergischen Schock von einem Spinnenbiss? Es ist Winter, es gibt keine Spinnen. Warum haben Sie sich mit den Ärzten gestritten?«
»Haben Sie mich verfolgt?«, fragte er.
»Ich wollte noch mal Mark Shepard interviewen, bevor er operiert wird, aber sie haben ihn vorverlegt. Er war schon weg, als ich kam.« Sie sah ihn aufmerksam an, ihr kesser Mund glich zwei Plastikrosenblüten, die aus den spitzen Mundwinkeln hervordrängten. Sie sah jung genug aus, um für eine Schülerzeitung zu arbeiten. »Bitte beantworten Sie meine Fragen.«
Sie war hübsch, und Männer redeten gern einen Haufen Mist, wenn sie mit einem hübschen Mädchen zu tun hatten. Jessie Gray sah aus wie das attraktive Mädchen von nebenan, auch wenn es so eins wie sie bei ihm nebenan nie gegeben hatte. Seine Mutter hätte sie ein prächtiges Mädchen genannt. Sie sah Marianne ziemlich ähnlich, und Flynn hatte das Bedürfnis, sie mit seiner Schlagfertigkeit zu beeindrucken, nur, dass er nicht besonders schlagfertig war.
In ihren dunklen Augen lag ein listiger Humor. Wahrscheinlich überlegte sie gerade, wie sie ihm all seine Geheimnisse entlocken konnte. Vielleicht hatte sie ein verstecktes Aufnahmegerät dabei und hielt jedes Stottern und jeden Mist, den er verzapfte, auf Band fest.
»Ich habe so was schon mal gesehen«, erklärte er ihr. »Niemand hat die Situation ernst genommen. Der Junge war schon blau angelaufen.«
»Ich bin erst zum Schluss dazugekommen«, sagte sie. »Sie haben den Leuten eine Heidenangst eingejagt, wissen Sie das?«
Er mochte ihre Art zu reden. Freiheraus, direkt ins Gesicht. Sie gefiel ihm, aber er war trotzdem nicht sicher, ob er ihr oder irgendeinem Reporter noch die Wahrheit erzählen sollte.
»Haben Sie Shepard gesprochen, bevor er zur OP abgeholt wurde?«, fragte sie.
»Nein.«
»Waren Sie denn endlich bereit, mit ihm zu reden?«
»Endlich?«
»Er fragt seit über einer Woche nach Ihnen.«
»Ich musste mich die ganze Zeit mit Reportern
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