Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)
dass sich so enthüllende Aussagen gewinnen ließen. Und auch dann wurde diese Aktion nur genehmigt, wenn ohne sie die Aufklärung des Falles «unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos» wäre, und mit genau diesen Worten begründete der Kriminalhauptkommissar seinen Antrag, nämlich mit der vagen Behauptung: Bei den bisherigen Recherchen habe sich gezeigt, dass Adile Simsek und ihre Brüder nicht alles erzählt hätten, was sie wüssten. Möglicherweise habe die Familie also ein Motiv für die Tat.
Der Amtsrichter fand diese wacklige Begründung stabil genug, er gab seinen Segen. Es sei wahrscheinlich, schrieb er, dass die Familie mit den Tätern in Kontakt stehe, und deshalb sei damit zu rechnen, dass ein Lauschangriff zur Aufklärung des Verbrechens führen werde. So leicht ließ sich in der alltäglichen Praxis der Justiz über das hinweghuschen, was eigentlich nach strengen Gesetzesvorgaben klang. Die Polizei, die Staatsanwaltschaft und das Amtsgericht wussten, dass sie sich rechtlich auf dünnem Eis bewegten. Das Gesetz sprach in Paragraph 100c ja eine eindeutige Sprache: Eine solche Maßnahme dürfe nur dann angeordnet werden, wenn «anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden». Das heißt: Abhören ist erlaubt, aber nur, wenn man davon ausgehen kann, dass die Lauscher nicht Privatestes und Intimes aufschnappen. Die tatsächliche Situation sprach also auf den ersten Blick gegen den Lauschangriff: Bruder und Schwester waren allein unterwegs, nach der anstrengenden Vernehmung, natürlich konnte da Privates zur Sprache kommen. Und gibt es einen ungestörteren, geschützteren Ort für ein vertrauliches Gespräch als ein fahrendes Auto? Allerdings heißt es weiter im Paragraphen: «Gespräche in Betriebs- oder Geschäftsräumen sind in der Regel nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen.» Jeder Gesetzestext ist deutbar: War der Sprinter nicht ein Geschäftsfahrzeug?
Also wurden Adile Simsek und Hüseyin Bas am 12. Oktober von einem freundlichen Polizisten abgeholt und nach Nürnberg chauffiert. Ein Beamter vernahm Hüseyin Bas, von kurz vor zwölf bis kurz vor zwei, in Zimmer 254, und daneben, in Zimmer 253, litt zur selben Zeit Adile Simsek.
Wo er zur Tatzeit gewesen sei, fragte der Vernehmer Hüseyin Bas.
Nun, das konnte er leicht beantworten, er hatte ein Taxiunternehmen, er hatte gearbeitet.
Der Beamte fragte weiter, die üblichen Fragen, nach denkbaren Motiven für den rätselhaften Mord, nach einer anderen Frau in Enver Simseks Leben. Er stocherte hier, bohrte da, und ab und zu flocht er kleine, spitze Bemerkungen ein: Wissen Sie eigentlich, was passiert, wenn eines Tages herauskommen sollte, dass Sie hier mit der Wahrheit hinter dem Berg halten?
Ob sie öfter Streit mit ihrem Mann gehabt habe, fragte ein anderer Polizist im Nebenzimmer Adile Simsek, Nachbarn hätten von einer lautstarken Auseinandersetzung zu berichten gewusst. Und jetzt, wo ihr Mann tot sei, könne man ja wohl noch viel mehr Geld aus dem Verkauf des Blumengeschäfts ziehen, für die Familie Bas wohlgemerkt, oder?
Am Ende der lavazähen Gespräche fragten die Beamten die beiden Vernommenen: Gibt es etwas, das Sie uns verheimlichen?
Mit dieser Frage, auf die es natürlich keine Antwort gab, wurden Bruder und Schwester entlassen. Damit war die Falle aufgespannt, nun musste sie nur noch zuschnappen. Jetzt würden Adile Simsek und Hüseyin Bas in den Sprinter steigen und erleichtert aufatmen – unter der in der Decke des Führerhauses versteckten Wanze, die ein Technikexperte der «Polizeidirektion Spezialeinheiten Nordbayern» eingebaut hatte. Und jetzt begann die eigentliche Vernehmung. Jetzt mochten die beiden sprechen, worüber sie wollten, idealerweise darüber, wie und warum sie den Mord verübt hatten.
Und alles, was sie sagten, wurde aufgezeichnet. Zunächst war nur ein Brummen und Dröhnen zu hören. Es rauschte auf, wenn der Fahrer hochschaltete, es schwoll leicht ab, wenn der Motor sich auf niedrigerer Drehzahl einschwang, laut war es immer. Vielleicht war die Falle ja doch nicht ganz so gut.
Aber mit der Zeit schälten sich Gesprächsfetzen aus dem Lärm. Die Leute, die das gemacht hatten, sagte Adile Simsek bitter, hätten es bestimmt vorab gut durchdacht. Vielleicht, überlegte sie laut vor sich hin, hätten die Mörder ja sogar die Minuten ausgenutzt, als Enver ein Gebet verrichtete und in
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