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Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)

Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)

Titel: Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Semiya Simsek , Peter Schwarz
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aus, lieh ihm Geld. Die beiden verstanden sich so gut, dass der Spender sogar eine Nichte aus der Türkei einfliegen ließ, um sie Enver Simsek zur Heirat in Holland zuzuführen. Aber dann versöhnte sich Simsek mit seiner Frau und kehrte nach Deutschland zurück. Das fand der holländische Türke so ehrverletzend, dass er einen Killer buchte.
    Die Geschichte war abstrus und erwies sich als Märchen.
    Einmal sprudelte es aus einer vertraulichen Quelle des Bundeskriminalamtes, das seit 2004 mit einer «Ermittlungsgruppe Ceska» parallel zu den mit der Mordserie befassten Länderpolizeien eigene Recherchen betrieb: Die Tatwaffe, die Ceska, befinde sich bei einem Türken in einer Asylbewerberunterkunft in Bielefeld.
    Das stellte sich als Unsinn heraus.
    Dann war da eine kurdische Gruppe, die von Bremen aus Drogenhandel betrieb. Deren Mitglieder waren bei Kontrollen öfters mit Ceska-Modellen angetroffen worden, und diese Leute hatten Kontakte in Hamburg und Nürnberg, in Städten also, wo türkische Gewerbetreibende erschossen worden waren …
    Auch diese Fährte: ein Flop.
    Ein in Bayern wegen Rauschgiftdelikten zu neun Jahren Haft verurteilter Türke erklärte, er wisse Bescheid. Er kenne die Auftraggeber, er kenne die Ausführenden. Den Hamburger Mord an Tasköprü könne er mindestens halb aufklären, den Mord an Enver Simsek hundertprozentig. Warum er jetzt plötzlich auspacke? Der Mann zählte moralische Motive auf, Gewissensgründe. Aber dann wurde er konkreter. Erstens hoffe er auf eine Belohnung, zweitens wolle er nicht in die Türkei abgeschoben werden, dort sei wegen alter Geschäfte sein Leben in Gefahr, ob man sich da nicht arrangieren könne? Dann nannte er den Beamten als Täter zwei Männer aus Rotterdam, die zu einer Geldeintreibergruppe aus dem Dunstkreis der Grauen Wölfe gehörten.
    Es stellte sich heraus, dass es diese Leute wirklich gab.
    Und es stellte sich heraus, dass zu den Morden keinerlei Verbindung bestand.
    Ein Mann, der in Berlin im Gefängnis saß, nannte die Vornamen der Mörder, nannte die Nachnamen der Mörder, nannte ihre Verstecke in den Niederlanden.
    Nichts davon war wahr.
    In England, hieß es, sei es vermehrt zu Morden an türkischen Drogendealern gekommen. Also wurden Kunststoffreproduktionen der Ceska-Kugeln angefertigt und über den Ärmelkanal geschickt.
    Fehlanzeige.
    Die Ermittler hatten bei ihrer Fahndung nach dem Mörder Massen von Telefonnummern zusammengetragen, nun glichen sie diesen Pool mit anderen Fernsprechlisten aus Drogenverfahren in ganz Europa ab – und tatsächlich, es gab Nummern, die immer wieder auftauchten.
    Es handelte sich um die Servicenummern von Telekommunikationsprovidern.
    Wir wurden älter und mussten unseren Weg gehen. Irgendwann wagten wir kaum mehr zu hoffen, dass die Wahrheit je ans Licht käme. Mein Onkel Hüseyin fuhr in seinem Taxiunternehmen, mein Onkel Hursit lernte, mit dem Kopfschmerz umzugehen, Kerim und ich arbeiteten an unserer beruflichen Zukunft, und wir stützten uns als Großfamilie gegenseitig. Dass wir so eng zusammenhielten, war unsere Stärke.
    Natürlich wollte ich immer noch wissen, wer meinen Vater umgebracht hatte. Und vor allem, wieso er ermordet worden war. Aber im Lauf der Zeit fanden wir uns mit der bitteren Einsicht ab, dass wir womöglich nie eine Antwort bekommen würden. In all diesen Jahren blieb der Schmerz. An Vaters Todestag trauerten wir besonders intensiv, aber auch sonst fehlte er. Oft gab es Momente, in denen ich mir gewünscht hätte, dass er mir beisteht. Auch die türkischen Festtage verliefen jetzt anders. Früher hatte sich immer die ganze Verwandtschaft bei uns versammelt, und das war auf einmal nicht mehr so, denn mein Vater, der für alle eine Art älterer Bruder und damit der Gastgeber gewesen war, fehlte. An ganz normalen Tagen tauchten aus dem Nichts plötzlich Fragen auf: Hatte er Schmerzen? Musste er in den zwei Tagen, bevor sie die Geräte abschalteten, leiden? Was für ein Schock muss es für ihn gewesen sein in der Sekunde, als er begriff, dass da einer auf ihn schoss? Ich lernte, das Gefühl des Verlusts im Alltag so weit auszublenden, dass das Weiterleben mit der Ungewissheit möglich wurde. Ich musste es lernen.
    Als sich die Mordserie in den folgenden Jahren fortsetzte, wurden mir andere Dinge klar. Anders als die zum Teil noch sehr kleinen Kinder anderer Opfer hatte ich vierzehn Jahre lang mit meinem Vater leben dürfen. Die meisten anderen verbanden kaum eigene Erinnerungen mit ihren

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