Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)
von diesem milden Kurs ab und verhängte zwei Jahre und drei Monate. Aber noch bevor ein Richter den Termin des Haftantritts festsetzte, machte Uwe Böhnhardt sich davon.
Böhnhardts Freund Uwe Mundlos, geboren am 11. August 1973, war in der thüringischen Neonaziszene fest verwurzelt und pflegte seit Jahren auch enge Kontakte zu Skinheads im sächsischen Chemnitz. Beate Zschäpe, geboren am 2. Januar 1975, hatte von 1991 bis 1995 immer wieder wegen Diebstahls mit der Polizei zu tun bekommen. Gemeinsam tauchten die drei immer tiefer in die rechtsradikale Szene ein: 1994 besuchten sie ein Rechtsrockfest in Straubing, 1995 nahmen sie im niedersächsischen Schneverdingen an einem Rudolf-Heß-Gedenkmarsch teil, 1996 in Worms an einer Heß-Kundgebung, 1997 in München an einer NPD-Demo. Von 1996 an mischten alle drei in der rechten Szene Thüringens mit, vor allem in sogenannten «freien Kameradschaften», locker organisierten und daher schwer greifbaren Gruppen wie dem «Thüringer Heimatschutz» und der «Anti-Antifa Ostthüringen». Durch ihre Verbindungen zu sächsischen Neonazis kamen sie außerdem mit der ursprünglich britischen «Blood and Honour»-Bewegung in Kontakt. Deren Gründer, dem Rechtsrocker Ian Stuart, war es gelungen, die europäische Neonaziszene von Marschmusik, Stammtischdunst und Hinterzimmermuff zu befreien und mit Partys, Open-Air-Treffen und Rockmusik für Jugendliche attraktiv zu machen. Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre hielt sich Stuart häufiger in Deutschland auf, gab konspirative Konzerte, knüpfte Kontakte und inspirierte eine ganze Generation junger Rassisten, denen die etablierten Rechtsparteien zu verknöchert und nicht radikal genug waren. 1993 starb Ian Stuart bei einem Autounfall, und bald rankten sich Verschwörungstheorien um den Verunglückten, er sei angeblich einem staatlichen Mordkomplott zum Opfer gefallen. Posthum wurde er, ein zweiter Rudolf Heß, zu einem Helden verklärt, der für seine Überzeugungen gestorben sei.
Als bewaffneter Arm von «Blood and Honour» etablierte sich die Organisation «Combat 18». Die Zahlen stehen für den ersten und den achten Buchstaben des Alphabets, A und H, die Initialen Adolf Hitlers. Zwei Grundsätze prägen «Combat 18», zum einen die Bereitschaft zu Mordanschlägen und zum anderen das Konzept des anführerlosen Widerstands. Die einzelnen Einheiten sollen demnach nicht in strenge Befehlszusammenhänge eingebunden sein, sondern unabhängig voneinander operieren: Zellenstruktur statt Führerprinzip, flache Hierarchien statt traditionellen Gehorsams.
Das Trio aus Jena sprach dieses Konzept offensichtlich sehr an. Anfangs hatten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sich noch darauf beschränkt, Naziplakate zu kleben und auf Handzetteln gegen den vermeintlichen Schuldkult zu protestieren: «Schluss mit dem Holocaust! Oder Deutscher willst Du ewig zahlen?» Bald aber wurden sie immer entschlossener, brutaler, militanter und unverfrorener. Nachdem sie Polizeiautos mit Steinen beworfen hatten, wurden die Wohnungen der drei Neonazis erstmals durchsucht. Die Beamten fanden dort Gaspatronen, Luftgewehrkugeln, ein Koppelschloss mit Hakenkreuz, einen beidseitig geschliffenen Dolch, einen Morgenstern mit Stahlkette. Als einige Zeit danach ihr Fahrzeug am Rande einer Demonstration kontrolliert wurde, lagen darin Sturmhauben, Beile, Messer, ein Schlagstock, Leuchtmunition und eine Gaspistole. 1996 ließ Böhnhardt eine Puppe, die mit einem Judenstern versehen war, an einem Strick von einer Autobahnbrücke baumeln und platzierte daneben eine Bombenattrappe, in den folgenden zwei Jahren deponierte das Trio in Jena dann echte Bomben, eine im Jenaer Ernst-Abbe-Stadion und eine vor dem dortigen Theaterhaus. Zwar fehlte der Zündmechanismus, doch explosionsfähigen Sprengstoff enthielten die mit Hakenkreuzen versehenen Pakete sehr wohl. Am 24. Januar 1998 nahm das Trio an einer Demonstration der NPD gegen die Wehrmachtsausstellung in Dresden teil. Auf Fotos sind sie mit der Parole «Nationalismus – eine Idee sucht Handelnde» zu sehen. Zwei Tage später tauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe unter.
Bereits damals hätte den Ermittlern klar sein können, dass diese drei jungen Leute nicht einfach Anhänger einer rechtsradikalen Ideologie waren, sondern brutale Neonazis auf einem gewaltsamen Weg, der immer tiefer in den Terrorismus hineinführte. Der Waffenkult, die Aggressivität, die Unverfrorenheit – das verband sich in
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