Schmerzlos: Thriller (German Edition)
Frau. Sie hatte sich ein Haus in Palo Alto gekauft, und inzwischen war es eine siebenstellige Summe wert.
Es war kurz nach fünfzehn Uhr, und sie war noch bei der Arbeit, fast fünfzig Kilometer weit weg in der Nähe des Flughafens von San Francisco. Ich schloss auf und ging durch das Haus auf die Terrasse hinaus, wo ich auf den Schatten am Pool zusteuerte. Ich ließ mich auf einer Rollliege nieder, um den Plan für meinen Angriff zu entwerfen. Es war ganz einfach.
Umarmung, Unterhaltung, Essen, und dann wollte ich sie mit Fragen zu China Lake und Projekt South Star überfallen. Antworten würde ich nur bekommen, wenn ich sie mit meinen Fragen überraschen konnte. Ich durfte ihr keine Zeit lassen, sich ein Ablenkungsmanöver auszudenken. Ich legte die Beine hoch und lauschte dem Gezwitscher der Vögel.
»Ev! Was für eine schöne Überraschung!«
Ich blinzelte. Vor mir stand meine Mutter, ein breites Lächeln im Gesicht, die Arme weit ausgebreitet.
»Mom.«
Sie lachte und zog mich hoch. »Das glaube ich jetzt nicht.«
Verdammt. Wie lange hatte ich geschlafen? Ich starrte auf die Uhr: neunzig Minuten. Ich umarmte sie, wobei mir der frische Duft ihres Parfums in die Nase stieg.
»Du siehst super aus.«
Sie strich mir übers Haar und strahlte, als hätte sie gerade einen Goldschatz gefunden, den jemand über die Mauer in ihren Garten geworfen hatte. »Du fliegst extra her, um Überfallkommando zu spielen. Ich fass es nicht. Das ist ja zum Schreien.«
Sie war siebenundfünfzig, aber immer noch so zierlich wie früher. Ihr goldfarbenes Kostüm endete knapp über den Knien, und die hochhackigen Schuhe, die sie schon ausgezogen hatte, trug sie in der Hand. Ihr Haar war zu einer spitz abstehenden Collage aus Silber gestylt, in die sich Strähnen in Coca-Cola-Braun mischten.
»Was für Geheimnisse willst du denn aus mir rausquetschen? Projekte, die aus schwarzen Kassen finanziert wurden? Geheimwaffen? Und was willst du essen? Ein Sandwich vielleicht? Ich hab auch noch Suppe.«
»South Star«, sagte ich.
»Ich weiß. Komm erst mal rein.«
Sie hakte sich unter und zerrte mich in die Küche, die wie ein riesiges Fotoalbum war. Der Kühlschrank war mit Schnappschüssen tapeziert, von mir, von meinem Bruder Brian und vor allem von meinem Neffen Luke. Die Wände waren ein einziges buntes Mosaik. Ihre Postkartensammlung erstreckte sich über dreißig Jahre und sechs Kontinente. Alaska, Rom, Cape Town, der Grand Canyon. Meine Mutter setzte mich an den Küchentisch und machte den Kühlschrank auf.
Sie wedelte mit einer Hand in meine Richtung. »Glaubst du mir jetzt, dass Phil nicht da ist?«
»Ich denke schon.« Ich war froh, dass sie seinen Namen ganz normal aussprach, ohne einen scharfen Unterton in der Stimme. Das bedeutete, dass sie sich zurzeit wieder ganz gut verstanden.
»Wie geht es dem Mann in deinem Leben?«
»Ich soll dich von ihm grüßen.«
»Brian hat gesagt, dass er zu dünn aussieht. Kochst du für ihn? Bringst du ihn zum Lachen?«
Sie holte einen Glaskrug mit Eistee aus dem Kühlschrank und goss uns zwei Gläser ein. Ich fühlte mich wie ein quengeliges Kleinkind, das man zu früh aus dem Laufstall geholt hatte.
»Ihm geht’s gut. Uns geht’s gut. Das ist der Status quo. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
»Es hat mich nur interessiert.« Sie lächelte. »Er ist immer noch der attraktivste Mann...«
»… auf Rädern. Ja, klar. Du weißt doch, dass ich auf solche Männer stehe. Groß, dunkel und gelähmt.«
Sie lehnte sich gegen die Arbeitsplatte, trank ihren Tee und ließ die Eiswürfel in ihrem Glas klingeln. »Du meine Güte, was bist du heute empfindlich. Ich wollte eigentlich ›der Westküste‹ sagen.«
Ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg. Sie stellte ihr Glas ab. Dann nahm sie einen Karton Orangensaft aus dem Kühlschrank, goss ein Glas voll und platzierte es zusammen mit drei Tabletten vor mir auf dem Tisch.
»Was ist das denn?«, fragte ich.
»Vitamin C und ein Paracetamol. Du brütest irgendwas aus. Da bin ich mir sicher, denn du wirst nur patzig, wenn dir was in den Knochen steckt.«
Ich hatte nicht mal mehr die Energie, ihr die Zunge rauszustrecken. Was ich eigentlich auch bloß deshalb tun wollte, weil sie meinen genialen Plan, sie mit meinen Fragen in die Enge zu treiben, einfach so zunichte gemacht hatte.
»Mom, es tut mir leid.«
Sie legte mir den Handrücken auf die Stirn. Ihre Haut war kühl. Ich fühlte mich sicher und geborgen und war wieder fünf
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