Schmerzverliebt
erscheint es mir logisch: Ich bin ein furchtbar schlechter Mensch, ich tue allen Kreaturen weh. Das Tier windet sich, ich quäle mich und sehe extra ganz genau hin, während ich spüre, wie sich der Druck in mir drin wieder aufbaut. Um ihn zu mindern, lasse ich meine Fäuste auf mich niedertrommeln, meine Beine, meinen Bauch, ich schlage zu, so fest ich kann, es tut weh, das soll es auch, und je mehr es wehtut, desto böser werde ich, ich schlage so fest, dass ich danach nur noch humpeln kann.
»Hi. Darf ich reinkommen?«
Sebastian ist erstaunt. Er hat nicht mit mir gerechnet. »Na klar. Wir sind gerade beim Essen. Hast du auch Hunger?«
»Weiß nicht.« Nach meiner Box-Attacke fühle ich mich beschämt und erschöpft, außerdem tun meine Beine weh, und ich muss mich ganz schön zusammennehmen, um nicht zu weinen.
»Hey, ist doch kein Problem, du störst überhaupt nicht, komm rein!«
Ich trete ein, folge ihm in die Küche. Der Fernseher läuft. Sein Vater sitzt am Tisch und guckt Nachrichten. Als er mich sieht, wischt er sich schnell den Mund mit einer Papierserviette ab, steht auf und reicht mir die Hand.
»Hallo, Pia!« Er deutet auf einen freien Stuhl. »Wir haben uns gerade eine Pizza kommen lassen. Wenn du willst, kannst du mitessen.«
»Danke, nein.«
Ich merke, wie er mich neugierig mustert. Wahrscheinlich sehe ich furchtbar fertig aus.
»Klar isst du was mit«, sagt Sebastian und dirigiert mich auf den Stuhl neben seinem. »Du siehst ausgehungert aus!«
»Ach, so habe ich es nicht gemeint«, sagt sein Vater. »Du hast eine neue Frisur, Pia!«
Ich nicke. »Ja, ich wollte mal kurze Haare haben.«
»Sieht gut aus. Schön frech.«
»Frech ist sie sowieso.« Sebastian gibt mir einen Kuss auf den Mund, schiebt mir seine Pizza herüber und schneidet ein Stück ab. »Hier! Lakritz macht spitz, Pizza macht spitzer!«
Er hält mir eine Gabel hin.
»Sebastian«, sagt sein Vater mit gespielter Entrüstung.
Sebastian grinst. »Das ist doch sonst dein Spruch!«
Er wendet sich an mich. »Magst du nicht?«
»Doch.« Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu essen, obwohl mir weder nach schlechten Späßen noch nach mäßigem Essen ist. Es handelt sich nämlich um eine Schnell-heiß-schnell-kalt-Pizza, der Boden viel zu dick und nicht richtig cross, die Tomatensoße eine fast flüssige Matsche, und die Käseschicht aus holländischem Gouda ist so gummiartig zusammengepappt, dass sie mir auch gleich runterrutscht und auf den Boden platscht.
»Entschuldigung.« Ich dumme, bescheuerte Kuh!
Sebastian lacht. »Macht nichts, ist mir auch schon passiert.«
Wir beugen uns beide gleichzeitig nach unten und er zwinkert mir unter dem Tisch freundlich zu. Trotzdem rast mein Herz, einen Bissen Pizza bekomme ich bestimmt nicht runter.
Sebastians Vater merkt, dass etwas mit mir nicht stimmt, er steht auf. »Kommt, ich räume mal die Teller ab. Ihr wollt euch bestimmt noch ein bisschen unterhalten.«
»Hm«, antwortet Sebastian und steckt sich den letzten Bissen in den Mund. Er hat praktischerweise gleich aus der Pappschachtel gegessen.
Sebastians Vater sieht mich immer noch forschend an. Plötzlich habe ich das Gefühl, etwas erklären zu müssen.
»Mir ist gerade was total Blödes passiert«, sage ich. »Ich hatte Krach zu Hause, bin dann schnell hierher und bin auf dem Weg auf eine Weinbergschnecke getreten.«
Beide schweigen einen Moment. Dann sagt Sebastian rasch: »Tja, dir passieren auch immer komische Sachen, erst kommst du in Wespenschwärme, dann trittst du auf Schnecken …«
Dr. Kramer verzieht keine Miene.
»Ich lasse euch jetzt besser allein«, sagt er schließlich und geht hinaus.
»Hast du schlimmen Ärger gehabt?«, fragt Sebastian, als wir in sein Zimmer gehen.
»Ja. Mal wieder.«
Ich setze mich auf sein Bett, er schließt die Tür, kommt zu mir.
»Ich dachte, du verstehst dich gut mit deinen Eltern.«
»Tu ich auch.«
Er sieht mich irritiert an. »Hast du nicht gerade gesagt …?«
»Jaa«, unterbreche ich ihn ungehalten und merke, wie meine Finger sich auf meinem Schoß ineinander verknoten. Sebastian sieht es auch und legt versöhnlich seine Hand auf meine.
»Das Problem liegt nicht bei meinen Eltern. Die sind toll. Ich meine, ich bewundere sie.«
Ich höre, dass Sebastian die Luft einzieht, aber schweigt.
»Es ist so!«, erkläre ich mit Nachdruck.
»Dann ist ja gut.« Sebastian seufzt, lässt sich aufs Bett fallen, zieht mich zu sich und wechselt das Thema. »Ich wollt dir noch
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