Schmetterlinge im Gepaeck
erzählt.«
Ich sehe ihn erstaunt an. Und was noch?
»Er hat ein Zimmer in meinem Wohnheim und das ist im selben Stock wie meins. Wir haben uns im Flur unterhalten, und dabei habe ich erwähnt, dass ich auf dem Weg zu Anna bin und wo sie arbeitet â¦Â«
Seine Freundin strahlt und ich verspüre einen merkwürdigen Anflug von Neid. Ob Max wohl anderen Leuten von mir erzählt?
»⦠und da hat er gesagt, dass er auch jemanden kennt, der dort arbeitet. Dich.«
Erst eine Woche und schon kann ich ihm nicht entrinnen. War ja klar, dass Cricket ausgerechnet neben dem einzigen Menschen wohnen muss, den ich in Berkeley kenne. Und woher weià er eigentlich, wo ich arbeite? Hab ich das Kino erwähnt? Nein, ganz bestimmt nicht. Er muss Andy gefragt haben, nachdem ich gegangen bin.
»Er hat nach dir gefragt«, erzählt St. Clair weiter. »Netter Typ.«
»Mhm«, bringe ich endlich zustande.
»Da steckt etwas hinter diesem âºMhmâ¹Â«, vermutet Anna.
»Nein«, entgegne ich. »Dahinter steckt GAR NICHTS .«
Anna denkt einen Moment nach und wendet sich dann an St. Clair. »Würde es dir etwas ausmachen, uns einen Kaffee zu holen?«
Er runzelt die Stirn. Nach einem kurzen Augenblick antwortet er: »Ach so. Klar. Kein Problem.« Er nähert sich ihr stürmisch und gibt ihr einen Abschiedskuss, dann sieht sie ihm nach und dreht sich schlieÃlich mit einem schelmischen Grinsen zu mir um.
»Du erzählst es ihm doch nachher sowieso, wenn ihr allein seid«, schimpfe ich.
Ihr Grinsen wird breiter. »Stimmt.«
»Dann erfährst du von mir gar nichts.«
»Ach komm.« Anna lässt sich auf den Sitz neben meinem gleiten. »Du kannst es doch kaum abwarten, es zu erzählen.«
Sie hat recht. Ich muss es loswerden.
Kapitel sechs
A l s ich fünf Jahre alt war, hat Cricket Bell einen Aufzug gebaut. Es war eine fabelhafte Erfindung aus weiÃer Schnur, Spielzeugautorädern und einem Schuhkarton. Damit konnten meine Barbies vom Erdgeschoss ihres Puppenhauses in den ersten Stock fahren, ohne jemals auf ihren abartig schrägen FüÃen gehen zu müssen.
Das Haus war in mein Bücherregal eingebaut, und ich wünschte mir einen Aufzug, solange ich denken konnte. Das offizielle Barbie-Traumhaus hatte einen aus Plastik, aber sooft ich meine Eltern auch anbettelte, sie lieÃen sich nicht erweichen. Kein Traumhaus. Zu teuer.
Also fühlte sich Cricket berufen, mir einen zu bauen. Und während Calliope und ich mein Bücherregal mit Lampenschirmen aus Zahnpastadeckeln und Perserteppichen aus Teppichresten dekorierten, schuf Cricket einen funktionierenden Aufzug. Flaschenzüge, Hebel und Zahnräder bereiteten ihm ebenso wenig Schwierigkeiten wie Atmen.
Der Aufzug hatte seine erste Fahrt hinter sich. Tierärztin Barbie vergnügte sich gerade im ersten Stock und Calliope zog den Aufzug wieder herunter, um Skipper zu holen, als ich mich auf die Zehenspitzen stellte, die Lippen spitzte und ihrem äuÃerst überraschten Bruder einen Kuss gab.
Cricket Bell erwiderte den Kuss.
Er schmeckte nach den warmen Keksen, die Andy uns gebracht hatte. Seine Lippen waren von blauen Zuckerkristallen überzogen. Und als wir uns voneinander lösten, taumelte er.
Aber unsere Romanze war genauso schnell vorbei wie unser Kuss. Calliope verkündete, wir seien »ekelig«, und stürmte mit Cricket im Schlepptau nach Hause. Und ich kam zu dem Schluss, dass sie recht hatte. Calliope gehörte nämlich zu den Mädchen, die man beeindrucken wollte, was bedeutete, dass sie immer recht hatte. Ich beschloss also, dass Jungs ekelhaft waren und ich niemals mit einem zusammen sein wollte.
Vor allem nicht mit ihrem Bruder.
Kurz nach der Sache mit dem Aufzug befand Calliope, ich sei ebenfalls ekelig, und meine Freundschaft mit den Zwillingen ging zu Ende. Ich nehme an, Cricket fügte sich in diese Ãbereinkunft mit der Nachgiebigkeit eines jeden Menschen, der unter dem Einfluss eines anderen mit einer stärkeren Persönlichkeit steht.
Mehrere Jahre lang redeten wir nicht miteinander. Der Kontakt war darauf beschränkt, dass ich ihre Autotüren zuknallen hörte und sie flüchtig durch die Fenster sah. Calliope war immer schon eine talentierte Turnerin gewesen, aber als sie auf Eiskunstlauf umschwenkte, drang sie in eine ganz andere Liga vor. Ihre Eltern prahlten vor meinen mit ihren Möglichkeiten und ihr
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