Schmetterlingsgeschichten - Chronik II - Rock 'n' Roll (German Edition)
davor?
Aha. Ja, da hatte er das entsprechende Buch: »Die Chroniken über die Insel, die
den Namen ‚Provinz Britannia’ bekam«.
Stephanus schlug spontan das 10. Jahrhundert auf, aber ihm fiel noch eine
andere Sache ein. Das war damals eine Zeit, in der er selber öfters auf dem
Planeten umhergewandert war. Nicht, dass er seine Arbeit vernachlässigt hätte,
doch die Ereignisse fanden nicht ganz so schnell statt wie heute. Die Zeit
hatte sich irgendwie langsamer bewegt als in der Gegenwart.
Es muss so im 5. oder 6. Jahrhundert im heutigen England gewesen sein.
»Ich werde alt«, sagte er zu sich selbst. Wie kann man einen Freund bloß vergessen?
Der gute, alte Bede. Er hatte ihn eigentlich zufällig getroffen. Stephanus
hatte einen langen Spaziergang gemacht und sich auf einer Lichtung ausgeruht.
Da war ihm dieser Wandersmann begegnet. Kaum hatten die beiden Brot und Wein
geteilt, da redete Bede voller Überschwang und Leidenschaft los. Hatte sein
späterer Freund etwas geahnt? Etwas über ihn?
Er habe das »Schreiben« erlernt und was es für eine wundervolle Sache war. Bede
wollte, dass sich Stephanus vorstellte, was das für die Menschen seiner Heimat
bedeuten könnte, wenn man Dinge, Erfahrungen und Berichte festhalten konnte.
So, dass sie den Tod eines Menschen überdauerten?
Es war für Bede die faszinierendste Sache der Welt. Und er hatte gelernt, sie
zu beherrschen. Die Schrift war zu dieser Zeit, in dieser Region, noch eine
sehr seltene Sache gewesen. Bede hatte eine wundervolle Energie, die er an den
Tag legte, während er vom »Schreiben und Lesen« berichtete.
»Du machst gar keinen so dummen Eindruck, mein einfältiger Freund«, hatte Bede
zu Stephanus gesagt, als er sich mit ihm unterhielt. Natürlich war Bede ein
wenig eingebildet. Und selbst-verständlich auch stolz.
»Vielleicht bringe ich dir ja mal ein paar Wörter bei!«, sagte Bede zu
Stephanus, dem Chronisten großzügig. Später hatten die beiden sich noch oft
getroffen und unterhalten, doch irgendwann hatte sich Stephanus von seinem
Freund verabschieden müssen.
Er war halt unsterblich und Bede nicht.
»Mein
Freund, du siehst immer noch so jung aus, wie an dem Tag auf der Lichtung, an
dem wir uns das erste Mal trafen«, hatte Bede zu Stephanus auf dem Sterbebett
gesagt. Bede war schon viel früher aufgefallen, dass das Alter keine Spuren bei
seinem Freund verursachte, doch hatte er niemals etwas gesagt.
Jetzt, da der Moment des Abschieds auf immer nahte, sprach er es an. Tränen
erfüllten die Gesichter der Freunde.
»Ich
bin Stephanus, der Chronist der Erde. Niemals habe ich einen Menschen so
liebgewonnen wie dich, mein Freund«, hatte er dem Sterbenden gesagt und seine
Hand genommen. Beide zitterten.
»Weißt du noch, wie du mir das Lesen und Schreiben beibringen wolltest?«,
fragte er ihn und unterdrückte Tränen. Bede lächelte und wischte sich unter
Schmerzen das salzige Nass aus den Augen.
»Ja! Welch ein Narr ich doch bin«, sagte Bede beschämt.
Stephanus
lief eine heiße Hitze aus dem Herzen hervor. Er machte ihm ein Geschenk:
»Mein Freund, ich werde dir jetzt zum Abschied von einer Welt berichten, in der
es viel Gutes gibt«, hauchte der Chronist ganz nah an seinem Ohr. Bede griff
nach seiner anderen Hand. Stephanus spürte, wie sie bibberte. Sein Herz war
schwer. Als Stephanus anfing, spürte er langsam, wie das Leben aus dem Körper
des Freundes wich.
»Mach es gut, mein Freund«, flüsterte Bede seine letzten Worte heraus, während
er die Worte eines redenden Stephanus mit in die Ewigkeit nahm. Jetzt stand
Stephanus gut 1.500 Jahre später in seiner Werkstätte und weinte.
Bede war auch unsterblich geworden. Noch heute kam Bede im Unterrichtsstoff der
Universitäten und Schulen auf der ganzen Welt vor.
Das geöffnete Buch legte Stephanus zur Seite.
******
28.
D ennis stand hinten im Garten der Familie Feuerstiel.
Eigentlich hatte er, wie so oft, durch die offene Balkontüre hineingehen
wollen, war dann aber stehen geblieben, weil er gesehen hatte, dass die Feuerstiels
Besuch hatten. Im Wohnzimmer hatte er diesen Mann erblicken können, den er von
so manch einer Veranstaltung in Meerbusch kannte. Er stand immer mit den
Politikern zusammen und unterhielt sich mit ihnen.
Das
hatte ihn zögern lassen, hineinzugehen.
Da
man durch das Wohnzimmer der Feuerstiels direkt bis zur Haustüre durchgucken konnte,
hatte er gesehen, wie der fremde Mann die
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