Schmetterlingsjagd (German Edition)
durch die Kammzinken auf die Kennzeichen, aber die können das vertragen. Als ich endlich mit dem Arrangieren und Ordnen fertig bin, fühle ich mich immer noch nicht viel besser. Das beunruhigt mich noch mehr – wenn Ordnung die Sache nicht in Ordnung bringen kann, was dann? Es bedeutet, dass ich steckenbleibe, für immer gefangen in meinem eigenen Schädel.
Ich nehme die anderen geretteten Gegenstände aus der Tasche und breite sie auf dem Bett aus: Sapphires Bustier, die Notizbücher und Kalender. Ich lasse die Finger über den Samt und die Glitzersteinchen gleiten. Ich muss es einfach anziehen. Es wird mich beschützen. Ich muss es tragen. Jetzt. Ich schaudere, ziehe das Bustier vorsichtig über den Kopf und winde mich hinein. Es passt perfekt. Es sitzt oben eng und drückt meine Brüste zusammen, die Taille macht es schlanker, dadurch wirken meine mageren Hüften voller. Es fühlt sich einfach richtig an, es hält mich sicher zusammen.
Ich rolle mich auf dem Bett zusammen und nehme das erste Büchlein vom Stapel. Mir klopft das Herz bis zum Hals, ich verschlinge jedes einzelne Wort und suche nach einem Hinweis auf den Türsteher. Er muss doch irgendwo erwähnt worden sein. Vielleicht waren sie befreundet. Vielleicht sogar ein Paar.
Aber er taucht nirgends auf, und ich muss daran denken, was eines der Mädchen im Tens gesagt hat: Sie ist nie mit Kunden ausgegangen. Nicht mal mit den Türstehern.
Ich lese seitenweise über Bird. Sie nennt ihn nie ihren Freund, nicht einmal in ihren persönlichen Aufzeichnungen, aber es liegt auf der Hand, dass er ihr sehr wichtig war, wer auch immer er ist. Zumindest ein sehr enger Freund, wahrscheinlich mehr. Sie beschreibt eine Menge Dinge, die sie zusammen erleben:
Bird und ich haben heute den Goodwill-Secondhandshop gestürmt. Er fand, wir sollten zu unserer schrillen Tanznacht am Donnerstag beide aussehen wie Zirkus-Freaks. Also haben wir die Grabbeltische durchwühlt und eine Menge verrücktes Zeug zutage gefördert – ich habe ein bodenlanges Spinnennetz gefunden und er eine Narrenkappe mit Glöckchen daran und ein RIESIGES Paar silberne Hosen. Danach sind wir durch das Kellerfenster in dieses alte Ziegelgebäude in der Meyers Street eingestiegen und wie die Verrückten dort herumgesprungen …
In einem anderen Eintrag (8. September) erzählt sie von Mitternachtspicknicks auf Baugerüsten:
Der Giant-Eagle-Supermarkt ist am besten, das schwöre ich. Bird steht so auf Driscolls Erdbeeren (die übrigens MONSTRÖS sind). Er füttert mich damit und nennt mich «Küken» (ist er nicht IRRE romantisch?? Haha). Manchmal bringen mich die Dinge, die er tun will – und wenn er etwas will, tun wir es SOWIESO –, dermaßen zum Lachen, dass ich mir fast in die Hose mache. Ob er mich dann wohl noch sexy finden würde? …
Ich blättere hektisch durch ihre Notizen. Zwischen die einzelnen Abschnitte hat sie lustige kleine Einkaufslisten geschrieben – Weizenbrot, Erdnussbutter, Eier, Haarklammern, Latex, kleine Federchen, Wäsche – und kleine schmutzige Reime und Kritzeleien (eine Menge Hände und Füße und Blumen) und Telefonnummern, unzusammenhängende Einfälle und Gedanken.
Sapphire schreibt gut, und die Mädchen im Tens hatten recht: Sie ist lustig. Ich lese weiter.
Ich pupse in der Nacht und wache davon auf , schreibt sie in ihrem Eintrag vom 29. April); ist das normal? Hört Bird das etwa auch? Vielleicht tut er nur so, als ob er nichts mitgekriegt hätte, damit ich mich nicht schäme, oder schläft er wirklich wie ein Stein?
In einem anderen Eintrag (16. Oktober) steht:
Ein Stammkunde hat mich heute beiseitegenommen und mir gesagt, dass er mir einen Tausender geben würde, wenn ich ihn eine Stunde lang meine Füße anbeten ließe. Ich habe natürlich nein gesagt. Aber jedes Mal, wenn ich ihn wiedersehe, könnte ich schwören, dass er nach Füßen riecht (vielleicht hat er sich ja auch nur ein Fußgeruch-Rasierwasser gekauft?), und ich kann nicht anders, ich muss mich einfach unter den Mädchen umsehen und überlegen, welche von ihnen sein Angebot angenommen hat. Eklig. Ich musste Bird von Mr. Fußfetisch erzählen. Er hat derartig lachen müssen, dass er prustend seine ganze Dr.-Pepper-Limo auf mich gespuckt hat. Jetzt nenne ich ihn schon seit zwei Tagen nur noch Dr. Pepper.
Und in einem ihrer Einträge (undatiert) ganz am Ende dieses Büchleins schreibt sie:
Wir haben uns entschieden, dass wir uns zu unserem Jahrestag unsere echten Namen verraten.
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