Schmetterlingsjagd (German Edition)
irgendwie auf deine Beine. Und zwar ununterbrochen.»
Ich bemerke eine Gruppe schwarzer Steine mitten auf dem Bürgersteig. Vier, fünf, sechs. «Oh, das … das hab ich gar nicht gemerkt», antworte ich ehrlich. Wir fahren an dem Eingang vorbei, in dem sich gestern der Türsteher versteckt hatte. Ich schlage den Jackenkragen bis hoch zum Kinn und verstecke mein Gesicht darin.
«Also, ich wohne gleich da oben, also …»
Keri fährt ein paar Häuser vor meinem an den Bordstein heran. «Hier?»
Ich nicke. «Danke … für deine Hilfe.» Die Worte fühlen sich unnatürlich an, schwierig auszusprechen. «Echt.»
Keri umarmt mich und gibt mir Küsschen, gleichmäßig, auf beiden Seiten. Das ist der Grund, warum ich mich nicht aus ihrer Umarmung winde. Dann sagt sie: «Stress dich nicht so, Lo. Wirklich.»
Es ist verwirrend, so gedrückt zu werden, geradezu überwältigend. Tränen brennen in meinen Augen. Hastig steige ich aus ihrem Auto, peinlich berührt, und mache mich auf den Weg zu unserem Haus. Ich habe keine Ahnung, warum Keri so nett zu mir ist. Sie kennt mich ja noch nicht einmal.
«Bis später», rufe ich über die Schulter. Ich muss jetzt gehen. Und tippen. Ich muss Sprünge in den Pflastersteinen zählen.
Siebzehn, achtzehn, neunzehn.
Wenn sie mich kennen würde, wäre sie vielleicht nicht mehr so nett zu mir.
Vierundzwanzig, fünfundzwanzig, sechsundzwanzig. Siebenundzwanzig , jetzt ist es perfekt. Noch mal von vorn.
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Kapitel 15
«Lo», die Stimme meiner Mutter dringt durch den dunklen Spalt an ihrer Tür, als ich daran vorbei in mein Zimmer gehen will. Sie hat sich in ihrem Bett aufgesetzt. Ihre Augen sehen im bläulichen Licht des Fernsehers ganz klar aus.
Der Fernsehansager sagt gerade: Herzlichen Glückwunsch, Peggy! Du hast eine brandneue Waschmaschine aus rostfreiem Stahl gewonnen. Und. Einen. TRRROCKNER . Das Publikum dreht durch.
Meine Mutter lächelt. «Setz dich mal zu mir.» Sie klingt ungewöhnlich ruhig.
Im Wert von über zweitausend Dollaaaar!
«Was ist denn los, Mom?»
Ich nähere mich dem Bett, und sie nimmt meine Hand. Sie ist kalt und knochig. Das hat sie nicht getan, seit sie vor über einem Jahr ihren Anker in dem dunklen, muffigen Hafen ihres Zimmers geworfen hat. Sie konnte es nicht ertragen, wenn jemand sie berührte, und sie wollte selbst auch niemanden berühren.
Ich kann mich an die Zeit erinnern, als sie noch Abendessen für uns kochte. Sie hat immer darauf geachtet, dass mein Teller gerade stand, dass mein Hühnerfleisch in genau die richtige Anzahl von Stücken geschnitten war. Dass sie mir die richtige Anzahl Gemüse gab. Denn sonst hätte ich nicht gegessen. Dad hat das nie begriffen. Er ist immer nur sauer geworden, weil ich die Dinge immer und immer wiederholen muss, weil ich Sprünge und Risse im Bürgersteig zählen muss, wenn ich gehe, und wieder von vorne damit anfangen muss, wenn ich einen Fehler mache.
Jetzt seht euch dieses Lächeln an, Leute. Peggy aus North Carolina! – Ist deine Familie heute hier im Publikum?
Mom schaut zu mir hoch: «Dein Vater hat mir erzählt, was neulich passiert ist, Lo, beim Abendessen.» Sie drückt meine Hand. «Er sagt, dass du angestrengt wirkst. Dass du spät nach Hause kommst.»
Ich klopfe mit der Hand gegen den Schenkel, sechs Mal; ich fange an, die Härchen ihrer linken Augenbraue zu zählen (sechzehn, siebzehn, achtzehn …). «Ich … ich habe nur gelernt. Ich bin viel in der Bibliothek gewesen …»
«Geht es um einen Jungen?», unterbricht sie mich, bevor ich den Satz zu Ende sprechen kann.
«Was? Mom – nein!» Als ob Mom und Keri Ram dasselbe Hirn hätten. «Ich meine …»
«Lo, das ist in Ordnung», unterbricht sie mich schon wieder. «Ich verstehe das. Ich hatte wirklich selbst einige Freunde, bevor ich mit deinem Vater zusammengekommen bin.»
«Nein», sage ich mit ein bisschen mehr Nachdruck. Ich versuche, ihr meine Hand zu entziehen, aber sie lässt mich nicht.
«Also, was ist es?», bohrt sie nach. Ein merkwürdiges halbes Lächeln huscht über ihr Gesicht. «Hast du dich rausgeschlichen, um dich mit ihm zu treffen? Willst du ihn nicht mal hierher einladen? Sind wir dir peinlich?»
«Das ist es überhaupt nicht.»
«Und was dann?», fragt sie, und jetzt wird ihre Stimme schrill. «Irgendetwas Schlimmes? Hast du schlechten Umgang, Lo? Drogen? Was? Nimmst du jetzt Drogen? Nach all dem, was wir durchgemacht haben?»
Ich versuche, meiner Stimme einen beruhigenden
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