Schmetterlingsjagd (German Edition)
mit den Fingern, kämme und glätte, kämme und glätte sie, als ich auf ihn zugehe.
«Ich glaube, wir sollten irgendwo reden, wo wir ungestörter sind, Lady Lo», sagt er und stopft seine echten Ohren unter die Mütze. «Ich würde ja mit dir in meine Bude gehen – im Keller dieses Friseursalons an der Ecke Grover und Miles, ein paar Blöcke entfernt – aber ich habe eigentlich gerade ziemlichen Hunger. Und es gibt ein Lokal in der Nähe, in das wir gehen können.»
Ein Windstoß fährt durch die Bäume, und sechs Straßenlaternen gehen nacheinander an. «Okay.» Ich will nicht stehen bleiben und bin neugierig auf das, was er mir erzählen will, was er weiß. Wir biegen in die Egret Street. «Flynt, ich …»
«Pssst», sagt Flynt und zeigt auf etwas.
Ein paar Meter entfernt steht unter einer flackernden Straßenlaterne am Ende des Häuserblocks ein Mann, der offenbar mindestens sieben Mäntel übereinander trägt. Eine Tweedmütze liegt zwischen seinen Füßen, die in roten Gummistiefeln stecken. Er wiegt sich vor und zurück, die Arme in die Luft gestreckt, und singt wie Louis Armstrong: «Mah Bay-bee. Ohhh. Mah Bay-bee, left me soooo saaayd. Soooo saaayd. Have you seen huh, have you seen huh, ooo, won’t you tell huh that I miss huh sooo baaayd.»
Obwohl er so klein aussieht, hat er eine kräftige Stimme. Er scheint wie ein Windrädchen um sich selbst zu wirbeln, und er leuchtet wie ein Himmelskörper, der sein Licht durch die Tiefen des Alls schickt.
Und dann erinnere ich mich wieder an ihn – es ist der Obdachlose, der so schwankte und stöhnte, als ich von Sapphires Haus fortlief, an dem Tag, an dem sie umgebracht wurde.
Flynt bleibt neben mir stehen und flüstert mir ins Ohr: «Der Prophet.»
«So heißt er?»
«So nennen ihn alle.» Flynt spricht jetzt mit tiefer Stimme, wie ein alter Mann am Lagerfeuer: «Der Legende nach kommt er seit vierzig Jahren jede Nacht an diese Ecke, um zu singen. Du weißt schon – für Geld. Und alle nennen ihn den Propheten, weil er alles über jeden Einzelnen hier in Neverland weiß. Er ist sozusagen unser eigenes kleines Jahrbuch.»
Mein Herz macht ein paar kleine Sprünge, als er sagt: Er weiß alles über jeden Einzelnen. Das ist genau die Person, mit der ich sprechen muss. «Ich werde ihn etwas fragen», sage ich zu Flynt.
Ich stürze auf ihn zu und stelle mich etwa einen halben Meter vor den winzigen, sich wiegenden Propheten.
Er singt weiter und lächelt mich dabei an, seine Augen sind von verhangenem Grauviolett. Ich stehe herum und warte ungeduldig darauf, dass er eine Pause macht, beobachte, wie er den Mund öffnet und schließt. Er hat nicht mehr alle Zähne, und die, die übrig geblieben sind, sehen aus wie winzige Kaugummi-Dragées, die aus seinem Zahnfleisch gucken. Ich schaue schnell weg. Mein Herz rast jetzt, und ich greife nach meiner Geldbörse.
Drei Dollarscheine. Einen nach dem anderen. Drei Sekunden vor jedem Schein.
«Gott beschütze dich», sagt er.
«Entschuldigen Sie, aber ich frage mich, ob Sie wohl wissen …», fange ich an.
«Was ich weiß ist. Das Wunder. Was ich weiß ist. Das Licht», sagt er in einem Singsang. Sein Kopf wiegt sich hin und her, seine Mäntel heben sich vom Boden und fallen wieder, wenn er die Arme hebt und wieder senkt.
«Okay. Aber wissen Sie auch … kannten Sie auch … jemanden namens Bird?» Ich atme tief durch – Oren erscheint vor meinem inneren Auge, nur sein halber Körper, wie er den Pobach hinuntertreibt.
Er starrt mich mit seinen erschreckenden violetten Augen an. «Die Dämmerung bricht ein. Der Himmel wird uns alle holen.» Er stöhnt leise. «Ohhh ja .»
Dann senkt er den Kopf, Dunkelheit überzieht seinen Gesichtsausdruck. «Oh, ja. Ich kenne einen Bird. Komischer Name. Ein Einhorn, die ganze Zeit. Und eine Nachtigall, wenn es ihm in den Kram passte.»
Verwirrt schüttele ich den Kopf. «Aber … wissen Sie auch, wo ich ihn finde?»
Er unterbricht mich wieder und singt: «Fly, fly away. Fly away with my baaaby …»
Ich drehe mich auf dem Absatz um und zähle jeden Schritt, bis ich bei Flynt bin. Der letzte Schritt wird riesig, damit es zwölf sind statt dreizehn. Er hat ein schiefes Lächeln im Gesicht und schüttelt den Kopf.
«Du bist schon komisch, Lo … all diese kleinen Dinge, die du tust. Deine königlichen Gesten. Ich mag sie.»
Hitze überzieht meinen ganzen Körper, so wie immer. Wenn man mich erwischt.
«Ich hätte hinzufügen sollen», fährt er fort und
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