Schmetterlingsjagd (German Edition)
die Menge bis ganz nach vorne. Der Bus erzittert und hält, die Türen gehen auf.
Tip tip tip, Banane. Jetzt bin ich auf der Straße, der Bus schließt seine Türen. Das Gesicht der alten Frau ist riesig hinter dem Fenster, vergrößert – sie schüttelt den Kopf, die Lippen zu einem Strich zusammengepresst. Ich drücke ihren Schirm an die Brust und sehe zu, wie die sonnenglänzenden Busfenster in der Gresham Street verschwinden. In meinem Bauch breitet sich Übelkeit aus.
Zu Hause stopfe ich mir eine Scheibe Erdnussbutterbrot in den Mund. Ich packe die verderblichen Lebensmittel in den Kühlschrank, alle in Reih und Glied, geordnet nach Größe und Form.
Kaum habe ich mein Zimmer betreten, weiß ich auch schon, dass ich es gar nicht hätte verlassen dürfen. Es sieht verwundet aus, krank. Jede einzelne der antiken Messinguhren an der Wand muss verrückt werden. Danach: die kleinen Drahtbäume, die neben der Stehlampe am Fenster stehen, wandern unter den Setzkasten mit der Fingerhutsammlung. Dann müssen die Fingerhüte in drei gleichmäßigen Reihen auf dem Schreibtisch vor der blaugrünen Olivetti-Schreibmaschine aufgestellt werden, aber nicht zu nahe bei der halb verrosteten braunen Smith-Corona.
Gerade als ich den ersten Fingerhut vor die Olivetti gesetzt habe, klingelt es an der Tür. Ich lasse den Fingerhut fallen, er rollt unter meinen Schreibtisch zwischen die Zeitungsstapel.
Es ist die alte Frau, sie hat mich gesucht. Diiing-Donnnng.
Ich höre die gedämpfte Stimme meiner Mutter. Sie dringt aus ihrem Zimmer bis hoch zu meinem: «Looo.»
Als ich herunterkomme, sehe ich, dass es nicht die alte Frau ist.
Es ist Jeremy. Er winkt hinter den Glasscheiben der Eingangstür. Ein Ordner baumelt an seinem behandschuhten Handgelenk. Ich öffne die Tür, klopfe schnell tip tip tip, Banane , totenstill, und trete hinaus zu ihm.
«Ich hab dir deine Hausaufgaben mitgebracht», sagt er. Er hält mir den Ordner hin. Seine Nase und Wangen sind rot, wie seine Haare. Der Ordner schwebt zwischen uns – ich will ihn nicht. Ich will jetzt nicht an die Schule denken. Nach ein paar Sekunden lässt er ihn wieder sinken. «Also, was ist los? Stirbst du an Grippe?» Er legt den Kopf schief und zuckt die Schultern. «Du siehst gar nicht krank aus.»
Ich strecke die Hand aus und nehme den Ordner. «Danke», murmle ich. Ich will mich umdrehen und zurück ins Haus gehen, aber er redet einfach weiter.
«Für Englisch müssen wir total verwirrendes Zeug lesen; vielleicht sollte ich es dir erklären», sagt er und macht einen Schritt in den Flur. «Ich musste Manning acht Mal danach fragen.» Acht . Ich zucke zusammen. Tippe sechs Mal auf jede Seite, um es wiedergutzumachen. Meine Ohren brennen, ich schaue weg und versuche, ihn mit meinen Gedanken zum Gehen zu zwingen.
«Außerdem», fährt er leise fort, «wollte ich vorbeikommen, um nachzusehen, ob es dir gutgeht und so, weil du doch nicht zu unserer Lernverabredung letzte Woche gekommen bist. Du hast die Verschiebung verschoben, sozusagen. Ich meine, das ist natürlich vollkommen okay», beeilt er sich zu sagen, als ich den Mund öffne, um zu antworten, «aber ich bin froh, dass du nicht tot bist, weil ich noch eine Menge Knabberzeug dahabe. Also, wenn es dir bessergeht …» Er macht eine kurze Pause. «Wahrscheinlich müssen wir einen neuen Termin finden.» Er grinst, seine Augen werden sogar noch blauer. «Du weißt schon, damit es nicht schlecht wird oder so …»
«Lo.» Moms Stimme unterbricht uns. Ich drehe mich um; sie steht da und schaut vom Treppenabsatz aus hinunter. Sie hat die Hände in die Hüften gestemmt und trägt noch immer die Nickijogginghosen von letzter Woche. «Was ist da unten los? Wer ist das?» Sie hustet, und die Erschütterung lässt ihren ganzen Körper beben.
«Jemand aus der Schule, Mom», antworte ich. «Mach dir keine Sorgen.»
Sie kommt trotzdem ein paar Stufen herunter, kneift ihre glasigen Augen zusammen und fixiert Jeremy, der immer noch auf der Türschwelle steht und in der Kälte zittert.
«Penelope.» Sie zieht scharf die Luft ein. «Lass deinen Freund nicht einfach da draußen stehen. Es ist kalt.»
Ich wende mich wieder Jeremy zu. Wut wallt in mir auf. Ich klopfe flüsternd tip tip tip, Banane und versuche, Banane unter einem mürrischen Huster zu verstecken. Dann lade ich Jeremy ein hineinzukommen und schließe die Tür hinter ihm. Ich schlage die Zähne aufeinander – neun, neun, sechs – bis ich einen dumpfen Schmerz
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