Schmetterlingsschatten
jeden Fall glaubte sie nicht, ihm etwas vormachen zu können.
»Ein bisschen«, flüsterte sie deswegen heiser. Selbst bei diesen beiden Worten versagte ihr fast die Stimme. Sie versuchte, sich zusammenzureißen und zu lächeln. Das konnte ja nicht sein, dass sie beinahe einen Herzanfall bekam, bloß, weil ein Junge sich für sie interessierte.
»Brauchst du nicht«, sagte Tristan noch leiser. Sein Gesicht war Elenas ganz nahe gekommen. Sie konnte seinen Atem riechen, in dem ein Hauch von Pfefferminzkaugummi mitklang. Sie ballte die Hände zu Fäusten, damit sie nicht so stark zitterten, und fragte sich, ob sie noch schnell zurückweichen konnte. Doch es war schon zu spät. Tristan beugte sich noch näher zu ihr und küsste sie sacht auf den Mund.
Für einen Augenblick schien Elenas Herz auszusetzen, dann raste es umso schneller. Sie konnte Tristans Lippen spüren, weich und ungewohnt. Vorsichtig erwiderte sie den Kuss.
Bevor sie herausfinden konnte, was das genau für ein Gefühl war, einen Jungen zu küssen, und ob sie es überhaupt mochte, war es schon wieder vorbei. Tristan entließ sie aus seiner Umarmung und lächelte sie glücklich an.
»Lass uns zu den anderen gehen!«, schlug er vor, als sei überhaupt nichts passiert, und streckte Elena auffordernd seine Hand hin. Nach kurzem Zögern ergriff sie sie und ließ sich von ihm in Richtung See ziehen. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Tristan hatte sie geküsst! Richtig geküsst! Sie war jetzt seine Freundin. Sie hatte das Gefühl, wie wild auf und ab hüpfen zu müssen oder laut zu schreien oder der ganzen Welt von ihrem Erlebnis zu erzählen, so aufgeregt war sie. Erst, als sie bei den anderen ankamen, die offensichtlich unschlüssig am Seeufer herumstanden, hörte ihr Herz auf zu flattern und ihr Kopf klärte sich etwas. Tristan ließ ihre Hand los.
»Worauf wartet ihr?«
Julian zog eine Grimasse. »Wir wollten sehen, was deine neue kleine Freundin so draufhat.« Dabei deutete er auf den alten Förderturm. Die anderen sahen erwartungsvoll zu Elena, nur Malin wandte den Blick ab.
Elena sah zu dem Turm, dann wieder zu den anderen. Sie hatte keine Ahnung, was die von ihr erwarteten.
»Also?« Julian schien zu glauben, dass sie wusste, wovon er sprach. Auch von den anderen kam keine weitere Erklärung, selbst Tristan legte nur den Kopf schief und sah sie erwartungsvoll an.
»Was also?«, fragte sie deswegen. Wenn die glaubten, sie könnten sie verunsichern, dann waren sie bei Elena an die Falsche geraten.
»Hast du ihr nichts gesagt?« Mit einem so übertriebenen Erstaunen, dass es nur gespielt sein konnte, wandte Julian sich an Tristan. Der schenkte Elena einen besorgten Blick und schüttelte den Kopf. Julian grinste. »Hast Angst gehabt, sie könnte kneifen, was?« Damit drehte er sich wieder zu Elena um. »Okay, hier ist der Plan: Du kletterst da rauf und springst dann von dem Arm in den See. Alles klar?«
Mit einem Schaudern sah Elena zum Förderturm. Er stand ein gutes Stück vom Ufer entfernt, die Wasserfläche darunter glitzerte friedlich in der Sonne.
Wahrscheinlich ist es gar nicht gefährlich. Wahrscheinlich ist das Wasser da ganz tief. Und es ist nicht hoch. Nicht höher als das Zehnmeterbrett im Schwimmbad. Das Problem war nur, dass sie sich noch nie getraut hatte, vom Zehnmeterbrett zu springen. Ihre Mutter hatte immer gesagt, dass man sich dabei richtig wehtun konnte, wenn man nicht aufpasste.
»Also, traust du dich?« Dieses Mal war es Rebecca, die sprach. Ihr Gesicht war gerötet und ihre Augen funkelten. »Wir sind alle einmal gesprungen.«
Elena sah zu Malin. Sie konnte sich erinnern, dass sie gesagt hatte, Elena müsse nicht alles mitmachen, was die Clique tat. Ob das auch jetzt galt? Doch Malin sah weiter zu Boden. Elena konnte die erwartungsvollen Blicke der anderen spüren. Sie atmete tief durch. Wann würde das endlich aufhören, dass sie sich vor der Clique beweisen musste? »Okay«, sagte sie dann, obwohl sie ziemliche Angst hatte.
» Wer geht mit rauf?«, rief Julian laut in die Runde.
Elena blickte zu Tristan. Wenn er mit ihr auf den Turm steigen würde, wäre es bestimmt ganz einfach. Sie stellte sich gerade vor, dass er ihre Hand halten und mit ihr herunterspringen würde, dass er sie vielleicht noch einmal küsste und ihr versicherte, dass alles in Ordnung war, da schüttelte er traurig den Kopf.
»Ich muss hier unten bleiben. Ich könnte dich beeinflussen, das ist nicht erlaubt.«
Was heißt
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