Schmetterlingsschatten
Tonfall schmerzte, aber sie war entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen.
»Dann mach doch, was du willst!« Vivienne wandte sich ab und stolzierte davon.
Brodelnde Wut stieg in Elena auf. »Als ob ich deine Erlaubnis dazu bräuchte!«, schrie sie hinter ihrer Freundin her, doch die zog nur den Kopf zwischen die Schultern und schob sich aus dem Klassenzimmer.
Aus dem Briefkasten schimmerte ihr etwas Weißes entgegen. Elena rannte los, sobald sie es erblickte, und angelte mit den Fingern durch den Briefschlitz, bis sie es zu fassen bekam. Ein weiterer Brief. Sie erkannte die Schrift sofort. Kurzerhand setzte sie sich auf die Treppenstufen und riss den Umschlag auf. Dieses Mal war der Brief nur sehr kurz.
Elena ich habe gehört, dass du nicht kommen konntest. Lass es uns noch einmal versuchen. Heute Abend um sechs, am Brunnen.
Sie steckte den Brief in die hintere Jeanstasche und atmete tief durch. Dieses Mal musste es klappen. Sie würde zu dem Treffen gehen und endlich etwas über Laura erfahren. Vielleicht verstand sie dann auch, was mit ihrer Mutter los war.
Nachdenklich stand sie auf und stieg die Stufen hinauf. Eigentlich hatte sie Vivienne mitnehmen wollen, falls der Briefeschreiber sich noch einmal mit ihr treffen wollte, doch das ging jetzt wohl kaum. Ganz alleine gehen wollte sie aber auch nicht. Timo fiel ebenfalls aus. Nina war zu albern.
Erst, als sie aufgeschlossen hatte und in den Flur trat, kam ihr die rettende Idee. Sie würde einfach Tristan fragen. Er würde sie verstehen. Außerdem war es eine fantastische Ausrede dafür, ihn heute wieder zu treffen. Nach diesem Vormittag sehnte sie sich einfach nach einem freundlichen Gesicht.
Zufrieden rief sie ihrer Mutter in der Küche einen Gruß zu und rannte dann die Treppe hinauf, um ihren neuen Freund anzurufen.
»Hey, das ist doch die neue Kleine von diesem Sieber!«
Elena seufzte, drehte sich um und starrte dem Typ auf dem Roller entgegen. Komisch, heute hatte sie überhaupt keine Angst vor ihm. Vielleicht lag es an dem Sprung von dem Turm gestern. Oder daran, dass er allein war und sie wusste, dass die Clique im Notfall mit ihm fertig wurde.
Er hielt den Roller neben ihr und klappte das Visier hoch. Es war Vanessas Freund, schmal, rotblond und mit einer Schar Sommersprossen auf der Nase. Wenn er nicht so nervig gewesen wäre, hätte Elena ihn wahrscheinlich niedlich gefunden.
»Was willst du? Lass mich in Ruhe!« Sie sprach ganz ruhig. Er hob abwehrend die Hände.
»Hey, hey, nicht so wild. Ich wollte dich doch nur mal ansehen. Ich meine, wenn du sowieso auf Ältere stehst…« Er grinste frech.
»Hau einfach ab, okay? Sonst . . .« Sie hatte sagen wollen, dass sie sonst die Clique zu ihm schickte, merkte aber glücklicherweise noch rechtzeitig, dass das albern klingen würde.
Er zuckte mit den Schultern. »Du hältst dich wohl auch für was Besseres, ihr seid doch alle gleich.«
Sie antwortete nicht, wandte sich nur ab und begann, betont gelassen die Straße hinunterzugehen.
Als sie schnelle Schritte hinter sich vernahm, war es zu spät. Sie wollte herumwirbeln, doch da hatte er schon zugegriffen und den Brief aus ihrer Hosentasche gezogen. Er musste ihn bemerkt haben, als sie sich abgewandt hatte.
»He, was haben wir denn da?«
»Gib das zurück!« Sie trat einen drohenden Schritt auf ihn zu, aber er war fast einen Kopf größer als sie und zeigte sich nicht im Geringsten beeindruckt. Seelenruhig faltete er den Zettel auseinander.
»Oho, ein geheimer Liebhaber. Was Sieber wohl dazu sagen wird?«
Sie ging noch einen Schritt auf ihn zu. »Gib das zurück!« Sie stand jetzt ganz nahe bei ihm und ihr Herz schlug ziemlich schnell. Hoffentlich war er wirklich so feige, wie sie glaubte.
Einen Moment lang starrte er auf sie hinab und sie war überzeugt, er würde sie wegstoßen, doch dann zuckte er mit den Schultern und ließ den Zettel einfach fallen. Rasch fing sie ihn auf.
»Wer ist denn der Glückliche? Jemand aus deiner Klasse? Oder vielleicht Tristans Kumpel Julian?« Er lachte. »Vielleicht teilen die wirklich alles.«
Elena spürte, wie sie rot im Gesicht wurde, sie war nicht sicher, ob vor Scham oder vor Wut.
»Ich betrüge Tristan nicht. Es geht um Laura!«, fauchte sie, um sich zu verteidigen. Gleich darauf hätte sie sich am liebsten geohrfeigt. Was ging es diesen Kerl an?
Er zog skeptisch die Augenbrauen hoch. »Ohhhh, ein Zeuge. Na ja, wenn ich du wäre, dann würde ich lieber mal deinen Freund nach ihr fragen.«
Weitere Kostenlose Bücher