Schmetterlingsschatten
unbedingt morgen dafür danken. Für ihre Mutter bemühte sie sich allerdings, ein betretenes Gesicht zu machen.
»Ich bin noch ein bisschen rumgelaufen«, log sie, für den Fall dass Vivienne schon lange wieder zu Hause war und ihre Mutter davon wusste. »Darüber habe ich die Zeit vergessen.«
Ihre Mutter runzelte die Stirn. »Du warst nicht mit diesem Jungen zusammen, oder?«
»Nein«, erwiderte Elena, eine Spur zu hastig für ihren Geschmack. Rasch sprach sie weiter. »Ich bin wirklich nur herumgelaufen. Ich habe nachgedacht.« Sie zögerte kurz, dann kam ihr ein Gedanke. Vielleicht konnte sie ihrer Mutter doch etwas entlocken. »Ich habe an Laura gedacht«, fügte sie deswegen hinzu. »In letzter Zeit geht sie mir nicht mehr aus dem Kopf.« Neugierig wartete sie die Reaktion ihrer Mutter ab. Beinahe erwartete Elena, dass sie ausflippen würde, wie so häufig. Aber zu ihrem Erstaunen seufzte ihre Mutter.
»Ja, ich denke auch dauernd an sie.« Sie streckte eine Hand aus, als wolle sie Elena berühren, ließ sie aber rasch wieder sinken. »Bitte, bleib nicht immer so lange weg. Ich möchte nicht, dass dir etwas passiert. Ich habe doch nur noch dich!«
Elena trat einen Schritt näher. Ihre Mutter war offensichtlich nicht in der Stimmung, in der sie Strafen verhängen würde. »Was soll mir denn passieren, Mama? Ich bin doch nur hier im Dorf unterwegs.«
Ein seltsamer Ausdruck trat in die Augen ihrer Mutter. Irgendetwas zwischen Trauer, Besorgnis und echter Angst. »Es kann immer etwas passieren«, murmelte sie, aber Elena wusste auf einmal, dass da noch mehr war. Etwas, das ihre Mutter wusste, etwas, das sie vor Elena verheimlichen wollte.
Sie brannte darauf, weiterzufragen, herauszufinden, was geschehen war. Zum ersten Mal fragte sie sich, warum ihre Mutter wirklich so viel Angst um sie hatte. Ob es vielleicht einen echten Grund gab, nicht nur einen, den sich ihre Mutter einbildete.
Aber sie wusste auch, dass sie so nicht mehr herausfinden würde. Ihre Mutter würde ihr bestimmt nichts sagen, was sie so lange geheim gehalten hatte. Außerdem war Elena müde und musste am nächsten Tag früh raus. Deswegen beschloss sie, die Sache erst einmal auf sich beruhen zu lassen und später weiterzuforschen.
»Ich bin vorsichtig, Mama«, versprach sie. »Aber jetzt gehe ich erst einmal ins Bett, ja?«
Ihre Mutter nickte. »Schlaf schön, Liebes. Und … mach dir nicht zu viele Gedanken.«
Soll heißen: Stell keine Fragen!, dachte Elena. Ich muss herausfinden, was damals mit Laura passiert ist, oder ich werde nie Ruhe haben.
Nachdenklich stieg sie die Treppe hinauf.
»Elena!« Timo hatte sie abgepasst, gerade als sie über die Ampel gehen wollte. Sie blieb stehen, drehte sich zu ihm um und wollte ihn anlächeln, doch als sie seinen Gesichtsausdruck sah, verging ihr das Lachen. Timo sah so aus, als könne er nur mit Mühe die Tränen zurückhalten.
»Timo, was ist los?« Für einen Augenblick war sie davon überzeugt, dass irgendetwas Schreckliches geschehen sein musste.
»Mein Vater hat mir erzählt, dass du mit Tristan unterwegs warst gestern.« Eine Mischung von Unsicherheit und leiser Hoffnung, dass das alles nicht wahr war, klang in seiner Stimme mit.
Verlegen kaute Elena auf ihrer Unterlippe herum und suchte nach einer Antwort. Gut, sie hatte gewusst, dass dieser Augenblick irgendwann kommen würde, besonders, da sie jetzt ganz offiziell Tristans Freundin war, aber sie war sich nicht ganz sicher, was sie Timo sagen konnte.
»Na ja, das stimmt«, erwiderte sie, als er nicht weitersprach. »Wir … wir sind jetzt zusammen.« Sie sah Timos Gesichtsausdruck und fügte rasch hinzu: »Tut mir leid, ehrlich. Aber wir können immer noch Freunde bleiben.«
»Ich dachte, du wärst meine Freundin.« Es kostete ihn offensichtlich alle Mühe, sich zu beherrschen. Langsam schüttelte Elena den Kopf.
»Ich mag dich wirklich gerne, aber . . .«
»Vergiss es!« Timo wirbelte auf der Stelle herum und stürmte über die Ampel auf die Schule zu.
»Timo, warte!« Aber er rannte weiter. Elena sah ihm nach, wie er im Schulhaus verschwand, und biss die Zähne zusammen. Das hatte sie ja klasse gelöst. Ob er je wieder mit ihr sprechen würde? Andererseits: Sie hatte ihm nie irgendwelche Versprechen gegeben. Wenn er sich einbildete, sie wäre seine Freundin, war das eigentlich nicht ihr Problem. Elena atmete tief durch. Es war ein seltsames Gefühl, Timo und sie waren seit der Grundschule befreundet gewesen und jetzt konnte es
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