Schmetterlingsscherben
barfuß über den hässlichen olivgrünen Teppich.
Obwohl ich mich noch etwas matt fühlte, ging es mir deutlich besser. Mir war nicht mehr schwindelig und mein Magen fühlte sich nicht mehr schlecht, sondern nur noch leer an.
Meine Kleidung hatten sie mir in der Klinik ausgezogen und ich trug jetzt nur noch den sterilen, weißen Overall, den sie mir da verpasst hatten.
Neben dem Sessel stand mein Rucksack, den ich zusammen mit Lennard gepackt hatte, und erleichtert zog ich saubere Unterwäsche, Jeans und ein Top heraus.
Ein Blick in den Spiegel, der an dem Schrank hing, ließ mich zusammenfahren. Obwohl ich diesen Anblick nicht zum ersten Mal sah, erschreckte er mich. Ich sah absolut furchtbar aus, hatte tiefe Ringe unter den Augen und war so blass, dass ich auch gut hätte tot sein können. Meine Haare hingen mir klebrig im Gesicht und ja, ich musste Lennard Recht geben, ich sah abgemagert aus. Meine Wangenknochen stachen auf keine besonders schöne Weise in meinem Gesicht hervor. So ähnlich hatte ich ausgesehen, bevor sie mich das erste Mal eingeliefert hatten. Nur in meinen Augen sah ich den Kampfgeist und die Stärke, die ich jetzt in mir hatte und die mir das letzte Mal komplett gefehlt hatten.
Seufzend strich ich mir die Haare nach hinten und band sie zu einem Zopf zusammen, ehe ich auf den Flur hinausschlich. «Lennard?», rief ich unsicher, bekam aber keine Antwort. Die Tür zum Wohnraum stand ebenfalls offen und ich betrat die gemütliche Küche mit Sitzecke. Auch hier roch es nach Großmutter und einem Hauch kölnisch Wasser. Die Sofagarnitur war ähnlich alt wie der Sessel im anderen Zimmer, es gab einen Gasherd und ein Waschbecken mit Boiler darüber, den man erst vorheizen musste, bevor man warmes Wasser bekam. Auf einer Anrichte neben dem Sofa standen ein Telefon mit Wählscheibe und einige alte Fotos herum. Ich trat näher und betrachtete die Bilder. Ich erkannte Lennard als kleinen Jungen auf einem davon. Das musste bei seiner Einschulung aufgenommen worden sein.
Ich ging zur Küchenzeile und nahm mir ein Glas Wasser, was ich gierig austrank und noch zwei weitere nach füllte. Unsicher ließ ich mich auf der Couch nieder, durch die man jede einzelne Sprungfeder spüren konnte.
Kurz darauf tauchte Lennard im Türrahmen auf und trocknete sich mit einem Handtuch das nasse Haar, das wieder seine natürliche, platinblonde Farbe hatte. Er trug nichts außer Boxershorts und ich spürte Hitze in meinem Gesicht aufsteigen und wandte meinen Blick rasch ab, um ihn nicht anzustarren.
«Du bist wach», stellte er fest und ließ das Handtuch sinken. Aus den Augenwinkeln verfolgte ich, wie er in den Raum trat.
«Wo sind wir hier?», fragte ich und räusperte mich, damit der Kloß in meinem Hals verschwand.
«In der Wohnung meiner Oma», erklärte er und griff nach dem T-Shirt, das er über die Stuhllehne gehängt hatte. «In der Nähe von Bremen.»
«Hm», machte ich und sah zu ihm auf. «Wo ist deine Oma?»
«Vier Wochen auf Pilgerreise mit ein paar Freundinnen», erklärte er und setzte sich mir gegenüber hin. «Geht's dir gut?» Er beäugte mich schräg. «Du siehst furchtbar aus.»
«Ich sah schon schlimmer aus», entgegnete ich und rieb mir über den nackten Oberarm. Ich hatte keine Pullover in meinen Rucksack getan, weil die so viel Platz wegnahmen und ich eigentlich gedacht hatte, den lilafarbenen länger tragen zu können als bloß einen Tag.
«Ich hatte einen abgedrehten Traum», murmelte ich und lehnte den Kopf in den Nacken. «Wir saßen im Auto und auf unserer Rückbank saßen, wie in so einem schlechten Horrorfilm, anstelle der Kinder, die normalerweise immer auf der Rückbank sitzen, ein irrer Clown, eine dicke Statue und ein Steinkopf!»
Lennard lachte los. «Das war kein Traum. Und du bist nicht verrückt, Ska.»
«Na klar!», rief ich augenverdrehend. «Ich hab echt gedacht, ich hätte diese scheiß Halluzinationen im Griff!»
«Das sind keine Halluzinationen, gottverdammt! Wann begreifst du das denn endlich?! DU BIST NICHT VERRÜCKT. Und diese Dinge sind real! So etwas gibt es! Sprechende Puppen, laufende Statuen!»
«Ich habe die letzten fünf Jahre damit verbracht, mich mit dem Gedanken abzufinden, dass dieser ganze gottverfluchte Scheiß ein Gespinst meines Hirns ist und da kommst du einfach so daher und willst mir weismachen, dass es alles echt ist?!», fauchte ich und zog meine Knie an den Oberkörper. «Woher willst du das wissen, du siehst die Viecher doch
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