Schmetterlingsscherben
gefehlt.»
«Aber du hast es nicht getan.»
«Weil es sie zu dir geführt hätte.» Er lehnte den Kopf an die Wand hinter uns und blickte zu mir herab. «Die Gruppen haben nicht nur gesucht, sondern auch angefangen, sich gegenseitig zu überwachen, für den Fall, dass irgendjemand den leisesten Anflug davon zeigen würde, dass er fündig geworden ist. Und nachdem ich eingeweiht worden war, galt ich in den eigenen Reihen als Hoffnungsträger und in den fremden Reihen als besonders gefährlich. Weil ich der direkteste Nachfahre des letzten Anthropomorphen war.»
«Lustig, letztendlich hast du mich ja sogar auch als Erster entdeckt», grinste ich. Lennard lachte los. «Ja. Ein ziemlich grausamer Scherz des Schicksals, irgendwie. Dass ausgerechnet ich zu dieser Familie gehöre. Dass ausgerechnet du diejenige bist, die sie seit Jahrhunderten suchen. Es hätte alles so einfach sein können, wenn es anders gewesen wäre.»
«War es aber nicht», murmelte ich und kuschelte mich wieder an ihn. Allmählich machte sich die Anstrengung in meinem Körper bemerkbar.
«Nein, das Leben ist irgendwie nie leicht», seufzte er und küsste mir die Stirn. «Du solltest schlafen.»
«Nur, wenn du hier bleibst», maulte ich und hielt ihn fest. Lennard lachte leise und legte sich neben mich. «Weil du es bist.»
Kapitel 18
«Ma? Was ist denn los?» Verständnislos blickte ich sie an, während sie mir den Koffer entgegenhielt, den sie für mich gepackt hatte, als ich noch in der Schule gewesen sein musste. «Du verbringst das Wochenende bei deinem Vater, ich hab schon alles mit ihm abgeklärt.»
«Was?!» Mir rutschte das Herz bis in die Hose und mir stieg die Galle hoch. «Ich soll in dieses Scheißkaff zurück?! Ma, nein! Niemals!» Ich hatte meinen Vater öfters gesehen, in den letzten fünf Jahren. Fast jeden Monat sogar. Aber er war immer hierhergekommen, weil er wusste, dass ich es nicht ertragen würde, dorthin zurückzukehren.
«Stell dich bitte nicht so an, Cassandra. Dort erinnert sich sowieso niemand mehr an dich, hörst du? Das ist doch schon so lange her.» Sie fuhr mir fürsorglich über die Wange und griff sich die Autoschlüssel.
«Wie, jetzt gleich auch noch?! Ma, was geht denn hier vor sich? Ist irgendwas passiert?»
«Es ist alles in Ordnung, Liebes. Ich muss nur ein paar Dinge regeln, hörst du? Und ich fühle mich einfach wohler, wenn du so lange bei deinem Vater bist. Würdest du das bitte für mich tun? Bitte?» Sie sah mich flehentlich an und irgendetwas in ihrem Blick machte mir Angst. Obwohl sich alles in mir dagegen sträubte, nickte ich benommen.
«Du bist ein Engel.» Sie drückte mir einen Kuss auf die Stirn. «Es wird alles wieder gut, hörst du?»
«Du machst mir Angst, Ma», murmelte ich und folgte ihr zur Haustür hinaus.
«Mach dir bitte keine Sorgen, ich regle das schon alles irgendwie.» Sie stieg in den Wagen und ließ den Motor aufheulen, noch ehe ich ebenfalls eingestiegen war und mich angeschnallt hatte.
«Ich bin fast volljährig, Ma. Ich bin kein Kind mehr, du kannst mir ruhig erzählen, was passiert ist.» Ich nestelte an dem Verschluss meiner Sweatshirtjacke herum. Irgendwie hoffte ich noch, dass sie mich einweihte. Vielleicht konnte ich ihr ja sogar helfen. Was auch immer es war… Es konnte nicht so schlimm sein, wie wieder nach Hoya zurückkehren zu müssen. Und wenn es auch nur für ein Wochenende war.
«Ich weiß, Liebling. Aber ich fühle mich besser, wenn du ein paar Tage in Hoya verbringst. Früher oder später musst du dich doch sowieso mal damit auseinandersetzen, oder nicht? Hat das nicht auch Doktor Meineken immer gesagt?»
«Er sagte, wenn ich bereit dazu bin!», rief ich, weil ich definitiv nicht bereit dazu war. Vielleicht würde ich das irgendwann sein. Mit vierzig oder Ende fünfzig. Aber nicht jetzt. Nicht nach diesen mickrig kurzen fünf Jahren.
«Es tut mir leid, dass ich dich dazu dränge», seufzte meine Mutter, die sich jetzt verzweifelt die Haare raufte und den Blinker setzte, um auf die Landstraße abzubiegen, die uns auf direktem Weg zurück in meine ganz persönliche Hölle brachte.
«Wenn es irgendeine andere Möglichkeit gäbe, glaube mir, dann hätte ich sie gewählt. Aber deine Großmutter lebt im Heim, dort kannst du nicht bleiben.»
«Wieso kann ich nicht bei Emily wohnen?», fragte ich, weil die Freundin meiner Mutter immer äußerst verständnisvoll und liebenswürdig mir gegenüber gewesen war. Vielleicht, weil sie Krankenschwester war und
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