Schmetterlingsspiegel (Keshevra's Queendom) (German Edition)
angehaltenem Atem. In ihrem Kopf entstanden Bilder einer Schlacht, wie sie grausamer und blutiger kaum sein konnte. Vor allem, weil hier von Angesicht zu Angesicht gekämpft worden war, mit direktem Feindkontakt. Nicht wie in ihrer Welt aus der Ferne, durch einen Knopfdruck, ohne dass man dem, den man töten will, wirklich in die Augen sehen, ihn berühren muss, um sein Leben auszulöschen. So viel schwerer, und doch war es geschehen, hier wie dort, und es schien nicht, als würde jemand aus den Fehlern der Vergangenheit wirklich lernen. „Am Ende wurden die ‚Reiter‘ besiegt, ihre Armee zerfiel. Wer keine Reue verspürte, wurde bestraft, wer erkannte, dass er falsch gehandelt hatte, wurde verschont und bekam eine zweite Chance. Doch was sollte man mit denen tun, die von den Reitern selbst erschaffen worden waren? Mit denen, die keine Wahl gehabt hatten, die nur zu diesem einen Zweck zum Leben erweckt wurden?“ Aidan klang traurig, sein Blick war in weite Ferne gerichtet. Er hatte es miterlebt: Das Blutvergießen, den Fanatismus, die Schuldzuweisungen und falschen Versprechungen. Viele seiner Brüder und Schwestern waren gestorben, nicht alle im Dienst der Königin. Es war eine dunkle Zeit gewesen, eine die er gern vergessen würde, doch er wusste, dass das nicht möglich war. Auch nicht sein sollte, denn wenn man sich an geschehene Gräuel nicht mehr erinnerte, wie sollte man dann verhindern, dass es wieder geschah? “Die vier Reiter kamen nicht alle auf stolzen Rössern, wie so viele Geschichten erzählen, wie so viele Bilder zeigen. Sie hatten sich jeder einen Begleiter geschaffen, vier ganz spezielle Exemplare, in den Signalfarben der Apokalypse. Der erste Reiter thronte auf einem Elefanten, so strahlend weiß, dass man die Figur auf seinem Rücken kaum erkannte. Gehüllt in edlen Samt und teure Seide, bestückt mit unzähligen Edelsteinen, trug er eine leuchtende Krone und einen Herrscherstab, aus dem gleißende Blitze zuckten. Sein Ziel waren Eroberung und Unterwerfung. Der zweite Reiter saß auf einem blutrünstigen Hund, eingehüllt in eine stählerne Rüstung, die ihn ganz verbarg. Er schwang ein feuerumspieltes Schwert, auf dem blutige Runen eingezeichnet waren. Das Sinnbild von Krieg und Zerstörung. Der dritte Reiter wurde von einem pechschwarzen Eber getragen, er war gehüllt in Tierfelle und trug eine knöcherne Gesichtsmaske, dazu eine dornengespickte Keule, geformt aus einem riesigen Oberschenkelknochen. Er brachte Hunger und Entbehrung. Der vierte Reiter führte ein blasses, grünlich schimmerndes Pferd und hüllte sich in eine schwarze Kutte, die sein Gesicht verbarg, die Hand, die die mächtige Sichel hielt, war nur Haut und Knochen. Gevatter Tod, mit Seuchen und Krankheiten im Gefolge: Tausende Raben, die auf die Unglücklichen herabstießen, die er als Opfer auserkor. Jene, die er nicht selbst und ohne Umschweife niedermähte, sondern die zuerst noch leiden sollten. Scary Gary ist der Feuerrote Hund des Krieges, muss es sein. Ein Kriegstreiber, wenn du es so willst. Neben ihm überlebten auch die drei anderen gezüchteten Kampfgefährten die Schlacht. Doch sie waren nicht verständig, nicht einsichtig genug, als dass man sie für ihre Taten verurteilen könnte. Sie waren so gezüchtet, so programmiert, sie konnten nur tun, was man ihnen vorgab zu tun. Ihr Verständnis von Richtig und Falsch war einfach nicht vorhanden. Keine Moral, kein Hinterfragen ihrer Befehle, weil ihnen das gar nicht möglich war. Zuerst versuchte man, sie zu resozialisieren. Doch am Ende…“
Er zuckte mit den Schultern, und Sabrìanna sprang auf. „Du willst mir damit sagen, ihr habt diese Kreaturen einfach durch die Spiegel geschickt, in unsere Welt?“ empörte sie sich, konnte kaum glauben, was sie da hörte. „Naja… in deiner Welt sind Tod, Unterdrückung, Hunger und Krieg alltägliche Dinge. Nichts Ungewöhnliches, nichts was großartig auffallen würde!“ verteidigte Aidan blind die Entscheidung seiner Königin. „Außerdem wurden ihnen ihre Kräfte genommen, ebenso die Größe und Stärke. Es sind nur vier Tiere, in alle vier Himmelsrichtungen verstreut – was können sie groß anrichten?“ Sabrìanna fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, in ihrem Kopf Bilder von Kindern mit aufgeblähtem Hungerbauch, von todkranken Müttern, denen nicht mehr geholfen werden konnte, von Soldaten, die auf Zivilisten schossen, weil sie vergessen hatten, human zu sein, den Feind auch als Menschen zu sehen.
Weitere Kostenlose Bücher