Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)
er. Kein Verkehr hier und auch keine Fußgänger.
Keine offenen Fenster, aus denen Musik strömte. John radelte weiter, das Ächzen
seines Fahrrads schien weit und breit das einzige Geräusch sein. Er fuhr an dem
Gebäude mit dem Apfelbaum vorbei und bei einem Seitenblick entdeckte er das Pärchen
durch eines der Fenster. Der Mann holte gerade aus und versetzte der Frau einen
Schlag mit der flachen Hand – so kraftvoll, dass sie zu Boden geworfen wurde. John
sah noch, wie der Kerl angewidert auf sie herabstarrte.
Nach ein
paar Metern stoppte John. Er stieg ab und lehnte das Rad an einen Laternenpfahl,
ohne es mit dem Schloss zu sichern. In einer Gegend wie dieser hätte das Ding niemand
geschenkt haben wollen. Während er zurückschlenderte, behielt er das Haus im Auge.
Zum ersten Mal seit Tagen war der Himmel bedeckt. Als hätten sie sich irgendwie
angeschlichen, klebten auf einmal Wolken vor dem Blau, und sofort wirkte diese stille,
etwas versteckt gelegene Straße dunkler, abweisender. John ging am hüfthohen Eingangstürchen
vorbei und betrachtete den Briefkasten – kein Namenschild. Ebenso wenig unter dem
von Messing umfassten Klingelknopf. Er lief weiter bis zur nächsten Ecke des Grundstücks
und sah sich um, bevor er sich über die Mauer schwang. Für einen Moment verbarg
er sich hinter den Sträuchern, um schließlich weiterzuschleichen. Bei den meisten
Fenstern waren die Vorhänge zugezogen, einige Rollläden heruntergelassen. Stille,
ein Haus, das wie verlassen vor ihm lag. Jetzt befand er sich seitlich davon, nur
ein paar Schritte von dem Chrysler entfernt, der in der Einfahrt direkt vor der
Garage abgestellt worden war. Hinter dem Anwesen gab es mehr von dem wild wuchernden
Rasen, einen Schuppen und eine seit Ewigkeiten nicht mehr geschnittene Hecke, die
über die Mauer quoll.
»Suchst
du was Bestimmtes?«
Der unvermittelte
Klang der Stimme ließ Johns Magen einfrieren.
Langsam
drehte er sich um.
Zwei dunkle
eiskalte Augen musterten ihn so eingehend, dass der Blick beinahe wie eine Berührung
war. Der Mann mit dem Stiernacken. Mindestens einen Kopf kleiner als John, aber
mit breiteren Schultern, größeren Händen, wuchtigem Brustkorb. Eine dieser Hände
schob sich lässig in die Tasche des dunklen Anzugs.
»Bist du
taub? Was hast du hier verloren, du Penner?«
Endlich
brachte John ein Lächeln zustande. Bemüht locker winkte er ab. »Cool bleiben, Mann.
Nur keine unnötige Aufregung.«
»Ich bin
cool, du Penner.« Die Stimme, gesprochen mit hartem Akzent, wurde leiser, zischender.
»Und ich kann dir ganz cool den Arsch versohlen.«
John strengte
sich an, damit sein Lächeln nicht in sich zusammenfiel. »Wirklich sehr nett«, erwiderte
er, so heiter, als wäre er nicht im Geringsten angespannt. »Aber das wird nicht
nötig sein.«
Der Mann
warf sich drohend in die Brust. »Verarschen kann ich mich allein.«
»Gratuliere,
das können ja die wenigsten.« John begann, langsam rückwärts zu gehen, auf die Einfahrt
zu, über die er sich zuvor seitlich am Haus vorbeigeschlichen hatte.
»Mach’s
Maul auf: Was schnüffelst du hier rum?«
John nickte
ihm zu. »Wegen des Rasens natürlich. Ich sollte ihn mir doch mal anschauen. Und
wenn ich ehrlich sein darf: Der sieht tatsächlich aus, als könnte er ein bisschen
Pflege vertragen.«
Die rechte
Hand des Mannes spielte in der Hosentasche. »Verpiss dich.«
»Moment
mal, ist das etwa nicht die Schänzlestraße?«
Der Fremde
machte einen großen Schritt auf ihn zu und starrte ihn fies an. John musterte kurz
die Wölbung der Faust in der Hosentasche – es hätte ihn nicht überrascht, wenn plötzlich
die Klinge eines Schnappmessers auf ihn zuspringen würde.
»Also nicht
die Schänzlestraße«, redete John weiter und winkte erneut ab. »Mensch, wo hab ich
heute bloß meinen Kopf?«
»Verpiss
dich.«
»Dann mache
ich mal, dass ich weiterkomme.«
Die Rechte
des Mannes kam wieder zum Vorschein – tatsächlich mit einem Messer. Eine Bewegung,
so schnell, dass John ihr nicht folgen konnte.
»Verpiss
dich oder ich schneid dich in Scheiben.«
*
Der Fahrtwind schnitt in seine Wangen.
Aber es tat gut, die kühler gewordene Luft so intensiv zu spüren, es tat gut, mit
Schwung in die Pedale zu treten.
Der Himmel
hatte sich weiter zugezogen, ein paar vereinzelten Tropfen fielen auf die dichter
gewordenen Autoschlangen, die sich in beide Richtungen der Habsburgerstraße hinzogen,
durchsetzt von etlichen Fahrradfahrern. Spätnachmittag,
Weitere Kostenlose Bücher