Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)
endgültig Feierabendverkehr.
Doch die Nähe so vieler Menschen konnte durchaus etwas Beruhigendes ausstrahlen
– insbesondere, wenn man kurz zuvor einem Typen allzu nahe gekommen war, der ein
Messer so lässig in der Hand führte wie andere Menschen ihre Zahnbürste.
John sah
das Siegesdenkmal auf sich zukommen. Er steuerte die Fußgängerzone an, wo er sich
aus dem Sattel schwang, um das Rad zu schieben. Einfach nur, weil er festen Boden
unter den Sohlen spüren wollte – einfach nur, weil die Begegnung hinter dem still
daliegenden Haus in Herdern nach wie vor in ihm wühlte. Er konnte dieses Gefühl
noch in sich spüren – diesen eisigen Moment, als ihm bewusst wurde, dass urplötzlich
Gefahr über ihn gekommen war. Wirkliche Gefahr, echte Gefahr, eine Gefahr, von der
man immer nur hörte oder las, die man aber normalerweise nie so unmittelbar erlebte.
Denn der Mann im Garten hatte geradezu vor Bedrohlichkeit gesprüht. Nicht wie all
jene Kanaillen, über die man bisweilen abends in Bars stolperte – Großmäuler, denen
ein paar Tropfen Alkohol zu viel die Oberarmmuskeln schwellen ließen und die auf
eine Keilerei aus waren.
Es war keineswegs
um ein paar Faustschläge gegangen, nicht bei diesem Mann. Weder seine Worte noch
seine Gesten, ja nicht einmal seine Haltung hatte diese Gefahr signalisiert – allein
der Blick hatte dazu ausgereicht, der Blick dieser tiefschwarzen Augen. Der Fremde
hatte gewissermaßen nach Blut gerochen, er war Gewalt ebenso gewohnt wie Gefahr,
daran konnte gar kein Zweifel bestehen. Selbst jetzt noch sah John Dietz ihn vor
sich, und ihm war endgültig klar, dass er einem Typen dieser Kategorie nie zuvor
begegnet war. Ja, dass es Typen dieser Kategorie in Freiburg eigentlich überhaupt
nicht gab.
Der leichte
Regen löste sich bereits wieder auf, die Dunkelheit überschwemmte schnell die Straßen.
John ließ sich Zeit und machte sich schließlich auf zu seinem Lieblingsdöner. Er
dachte kurz an Uschi’s Sushi bei der Dietler-Passage, änderte seinen Speiseplan
dann doch nicht. Als er endlich an der Theke stand, hatte er allerdings das Gefühl,
keinen Bissen herunterzubekommen. Er bestellte einen türkischen Tee und verkroch
sich an einen der Stehtische. Auch wenn er es sich selbst nicht eingestehen wollte
– und es vor anderen schon gar nicht zugegeben hätte –, die Geschichte war ihm an
die Nieren gegangen. Was war das nur für eine hirnrissige Aktion?, dachte er, während
er an seinem Tee nippte. Eine Schnapsidee, totaler Quatsch. Ohne Grund hinter dem
Chrysler herzujagen … So viel zu deinem Riecher, Johnny.
Höchstens
eine Viertelstunde später war er bereits dabei, das Fahrrad im Treppenhaus des Gebäudes
zu sichern, in dem sich sein Büro befand. Johns Stimmung hatte sich nicht wesentlich
gebessert, und die vertraute Umgebung ließ ihn unweigerlich daran denken, dass demnächst
wieder eine Monatsmiete für die Räume hier von seinem Konto abgebucht wurde. Blieb
ihm bloß zu hoffen, dass tatsächlich etwas da war, das sich abheben ließ. Es war
ja schon reines Glück gewesen, dass er überhaupt diese kleine Ecke in einer solchen
Gegend bekommen hatte – und das auch noch zu einem halbwegs zivilen Preis. Allerdings
hatte damit Johns Glück aufgehört.
Er musste
endlich die Rechnung für Laura Winter aufsetzen, so sehr es ihm auch widerstrebte.
Sie hielt ihn ganz sicher für einen Komplettversager, wie schon vor Jahren in der
Schule, und er konnte es ihr noch nicht einmal übel nehmen.
Die Erinnerung
an diese Frau gaukelte ihm vor, ihr Parfüm zu riechen, diesen teuren weltgewandten
Duft, der nach allem roch, was nicht zu John Dietz passte. Er verzichtete darauf,
mit dem Aufzug zu fahren, und bemühte sich, irgendeinen alten schwermütigen Song
vor sich hinzupfeifen. Schon im zweiten Stock hörte er ein Krächzen aus Elvis’ Kehle.
Eigentlich ein Wunder, dachte John beiläufig, dass sich bisher niemand über den
Papagei beschwert hatte. Das allerdings konnte ja noch kommen.
Weiterhin
pfeifend, erreichte er den dritten Stock, als die Melodie auf seinen Lippen erstarb.
Wie angewurzelt blieb er stehen. Völlig entgeistert starrte er auf die Person, die
auf dem Boden hockte, genau neben der abgeschlossenen Tür zu seinem Büro.
»Heiliger
Strohsack!«, entfuhr es ihm dann.
Ein kaum
einzuschätzender Blick fing ihn ein. »Heiliger Strohsack? Mehr fällt dir also nicht
ein. Geht’s auch etwas origineller?«
»Warum sitzt
du hier?«
»Ziemlich
dumme Frage. Weil ich auf
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