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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Befugnisse dieses wie ein Henker schwarz gekleideten Funktionärs « kennenzulernen. Er weiß ja immer noch nicht, ob er nur veralbert wurde, lieber würde er hier unauffällig eindringen, um im Ernstfall ebenso unauffällig wieder zu verschwinden. » Der ›Beller‹ befragte mich nach meinem Namen. Ich nannte ihn ebenso mechanisch, wie sich der zum Tode Verurteilte auf den Bock schnallen läßt «, und dann » brüllte er die beunruhigenden Silben mit einer Macht heraus, von der die Wölbung des Palais hätte erbeben können. «
    Die Prinzessin begrüßt ihn sehr aufmerksam: » Ich erwartete fast, sie werde mir wie eine Anführerin beim Kotillon einen Spazierstock mit Elfenbeingriff oder eine Armbanduhr überreichen. «
    Eine weitere Slapstickszene: » Von Beruf zu Beruf errät man einander, von Laster zu Laster ebenfalls. Monsieur de Charlus und Monsieur de Sidonia hatten auf der Stelle jeder das des andern erspürt: für alle beide bestand es darin, in Gesellschaft dem Monolog in einer Weise zu huldigen, daß kein Unterbrechen möglich war. « Deshalb kommt, da keiner nachgeben will, bei ihrem Gespräch » das wirre Geräusch zustande […], das in den Komödien Molières von mehreren Personen hervorgebracht wird, die zu gleicher Zeit verschiedene Dinge äußern «.
    Eine typische Szene auf Partys, plötzlich sucht man, in Ermangelung bekannter Gesichter, das Gespräch mit Personen, die man sonst meiden würde. So geht es Professor E…, der Marcels Großmutter so eine düstere Diagnose gestellt hatte. Er kennt hier niemanden, weshalb er bei Marcels Anblick » zum ersten Mal in seinem Leben verspürt, daß er mir unendlich viele Dinge zu sagen habe «.
    Der Professor erfährt nun, daß die Großmutter tatsächlich gestorben ist, » ohne Befriedigung zu äußern, ja vielleicht sogar, ohne sie zu verspüren «. Denn es hätte ihn natürlich schon gewurmt, wenn sich seine Diagnose als falsch herausgestellt hätte. Manchmal wird ein Patient als krebskrank abgeschrieben: » Wenn dann der sich selbst überlassene Patient es mit einer rigorosen Diät versucht, schließlich wieder gesundet oder wenigstens weiterlebt, so wird der Arzt, wenn er in der Avenue de l’Opéra von jemand gegrüßt wird, den er seit langem auf dem Père-Lachaise vermutete, in dessen Hutschwenken eine Gebärde heimtückischer Bosheit erblicken. Ein Schwurgerichtspräsident würde kaum in größeren Zorn geraten, wenn er einen Schelm, über den er zwei Jahre zuvor das Todesurteil verhängt hat, ohne alle Scheu vor seinen Augen einen Spaziergang machen sähe. «
    Im Fall von Monsieur de Vaugoubert, einem Diplomaten, der nach gleichgeschlechtlicher » kindisch planloser Ausschweifung « in seiner Jugend zu absoluter Enthaltsamkeit gekommen ist, um am Quai d’Orsay Karriere zu machen (was für ein Land, in dem man seit hundert Jahren »Quai d’Orsay« sagen kann, wenn man das Außenministerium meint), ist der Monsieur die Frau und seine Gattin der Mann. Dabei gibt es zwei Varianten, die, daß der Mann, der eigentlich Männer liebt, eine Frau heiratet, die wie ein Mann wirkt, oder den zweiten Fall, » bei dem man es mit einem der rührendsten Mirakel der Natur« zu tun hat, der in diesem Fall »das Menschenreich dem Pflanzenreich naherückt «, wenn nämlich die Frau, die zunächst keine männlichen Züge hat, nach und nach unbewußt solche annimmt, » um ihrem Mann in jener Art von Mimikry zu gefallen, durch die gewisse Blumen sich das Aussehen der Insekten geben, die sie anlocken wollen. Der Kummer, nicht geliebt, kein Mann zu sein, läßt sie männlich werden «.
    Unklares Inventar:
    – Routs, Alfanzereien.
    Verlorene Praxis:
    – Sich » mit der Geschicklichkeit, die man durch die Gewohnheit des Reitens bekommt «, langsam in seinem Sessel umwenden und, ohne seine Nachbarn zu stören, seinem Hintermann beinahe gegenübersitzen.
    92 . Fr, 20.10., Berlin
    Als Firma unterbietet man Lieferzeitversprechungen der Konkurrenz, um an den Auftrag zu kommen, und muß am Ende immer mehr Studenten einstellen, die in letzter Minute alles hinbiegen sollen. Aber in meinem Beruf wäre die Einarbeitung einer Aushilfe komplizierter, als alles selbst zu erledigen. Neben dem elenden Proust-Pensum, ist das in den nächsten zwei Wochen:
    – »Pjöngjang« von Guy Delisle übersetzen, den Nachfolgeband von »Shenzhen«. Ich bin zwar schon einmal durch, mußte aber einige strittige Stellen mit Sternchen markieren. Auf 170 Seiten 246 Sternchen.
    – Als Gastredakteur

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