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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Kohl und der großartige Kefir, den ich für ein Getränk der Götter halte, die sich bestimmt nicht von Götterspeise ernähren. Meine Stimmung ist labil, ein Text über Tschechows Leben macht mir Angst, wie kann »Die Möwe« bei der Premiere durchgefallen sein? Und Tschechow hat sich bestimmt nicht damit getröstet, Tschechow zu sein, er ist mit vierundvierzig an Tuberkulose gestorben, und das auch noch in Deutschland. Oder werde ich uralt und wie Tolstoi meine Schuhe selbst nähen und noch mit achtzig Japanisch lernen, um mir meine Leserpost übersetzen zu können? Man hat wahrscheinlich keine Wahl, und es steht alles schon fest.
    Plötzlich kommt der Moment, wo man keine Lust mehr hat, hier zu sein, es reicht schon, einmal von einem Kioskmädchen ignoriert zu werden. Die Kunst, sich dem Geldzählen oder Aufzeichnungen in einem Rechnungsbuch zu widmen, während der Kunde dumm vor der Luke steht, ist hier weit verbreitet. Ich denke dann immer: »Na und? Ich lese Proust.« Aber lieber würde ich freundlich bedient werden. Auch, wenn ich mich im Kurs zum zehnten Mal vorstellen soll, weil wieder ein Neuankömmling die Gruppe bereichert und ich erklären soll, was ich von Beruf bin, denke ich: »Ich lese Proust« und sage »Journalist«. Wie schön wäre es, endlich einmal die Wahrheit sagen zu können. Nichts, was ich mache, hat einen Nutzen für andere. Warum lernst du Russisch? Brauchst du das für die Arbeit? Nie fällt mir die richtige Antwort ein: Nein, ich hoffe, ich brauche diese Sprache nie für irgendeine Arbeit, ich finde es lediglich beglückend, Vokabeln zu kennen.
    In Swanns Welt, S. 437–461
    Der arme Swann, ich muß zugeben, so weit wie er bin ich in meiner Eifersucht noch nie gegangen. Der Frau zu unterstellen, daß sie einen nur zu sich gerufen habe, damit ihr Liebhaber, der sich irgendwo in der Wohnung versteckt hält, eifersüchtig wird oder sich erregt, das ist schon ziemlich paranoid. Immerhin findet er Trost im Bordell, dort » verbrachte er eine Stunde in melancholischem Gespräch mit einem armen Mädchen, das sich wunderte, daß er weiter nichts wollte «. Gibt es sie noch, diese Orte? Oder muß man heute zum Psychologen gehen?
    Odette ist mal eben ein Jahr mit den Verdurins auf Mittelmeerkreuzfahrt. Im Omnibus trifft Swann Madame Cottard, die früher vom Schiff zurückgekehrt ist. Sie klärt ihn darüber auf, wie sehr Odette ihn verehrt und daß sie dauernd von ihm spreche. Diese Neuigkeit löst etwas in ihm. Er empfindet » eine überflutende Zärtlichkeit « für Madame Cottard » und beinahe auch für Odette, denn sein Gefühl für sie war jetzt frei von Schmerz und daher kaum noch Liebe zu nennen «. Ohne es zu ahnen, hat Madame Cottard ihn therapiert. Er verspürt nur noch manchmal eine leichte Eifersucht, » eine eher angenehme Erregung, so wie etwa dem Pariser, der betrübten Sinnes Venedig verläßt und nach Frankreich zurückkehrt, ein letzter Moskito beweist, daß Italien und der Sommer noch nicht so ferne sind «. (Ich hatte einmal eine ähnliche Empfindung bei einer letzten Kakerlake, die ich nach einem Aufenthalt in Moskau zu Hause aus dem Rucksack schüttelte.)
    » [E]r hätte diese Liebe, von der er sich entfernte, wie eine Landschaft sehen mögen, die allmählich verschwand; aber es ist so schwer, sich zu spalten und eine wirkliche Ansicht von einem Gefühl zu haben, das man nicht mehr in sich hegt, so daß bald alles in seinem Hirn in Dunkelheit verschwamm. « Umso schwerer darüber zu schreiben, ohne die Gefühle aus der Perspektive des Genesenen zu beurteilen, wie Swann es tut: » Wenn ich denke, daß ich mir Jahre meines Lebens verdorben habe, daß ich sterben wollte, daß ich meine größte Leidenschaft erlebt habe, alles wegen einer Frau, die mir nicht gefiel, die nicht mein Genre war! «
    Unklares Inventar:
    – Ein Entoutcas als Schirm.
    23. Mi, 9.8., Odessa, Uspenskaja 13
    »Ochota i Rijbalka« (»Jagd und Angeln«), mein Lieblingssender. Vierundzwanzig Stunden Informatives über die Jagd. Männer, die im Wald auf Hockern vor ihren bulligen, nagelneuen Geländewagen sitzen und Trockenfisch verzehren. Es ist doch eigentlich das Gleiche, ob man selbst am Ufer sitzt und auf den Biß wartet oder ob man vor dem Fernseher ausharrt, um nicht zu verpassen, wenn sie bei einem anderen beißen. So ist es auch angenehmer, über das Liebesunglück eines anderen zu lesen, als es selbst erleben zu müssen. Muß man geangelt haben, um Angler zu sein? Muß man geliebt haben, um eine

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