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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Chefzimmer. Acht Champagnersorten nacheinander, von herb bis süß. Danach allein zu Fuß weiter. Die übriggebliebenen Hausnummern mit kleinem Sowjetstern über den Eingängen. Neben dem riesigen Bahnhof ein großer Markt. Alte Leute verkaufen Milch in Plasteflaschen. Zu Hause Proust lesen, während es auf dem Hausflur hämmert. Die andere Hälfte meiner Remise wird auseinandergenommen. Einer der Arbeiter hat den Rücken voller Pusteln. Mir gefällt mein langer wie von Hand geschnitzter Schlüssel. Ich weiß inzwischen schon genau, wie ich ihn ins Schloß stecken muß.
    In Swanns Welt, S. 376–397
    Irgendwie ist Swann ja eine Art Old Shatterhand, ein Held, der eigentlich keine ernsthaften Probleme hat, und wenn er sich unter die normalen Menschen begibt, dann nur, um sich zu zerstreuen, wobei er hier und da Kostproben seiner ungewöhnlichen Fähigkeiten gibt. Dieser lässige Umgang mit der eigenen Klasse, wie bei Richard Gere in »Pretty Woman«. Aber da es kein »Pretty Woman II« gibt, wissen die wenigsten, wie schlecht Julia Roberts ihn behandelt hat, nachdem sie ihn einmal zur Hochzeit bewegen konnte.
    Eine Gesellschaft bei der Marquise de Saint-Euverte. Die vielfältige Dienerschaft hat noch Stil: » Der eine von ihnen, der besonders trutzig wirkte und etwa einem Henker auf gewissen Renaissancebildern glich, die Folterungen darstellen, trat mit unbeweglicher Miene auf ihn zu, um ihm die Sachen abzunehmen. Doch wurde die Härte seines stählernen Blicks durch die Weichheit seiner Baumwollhandschuhe kompensiert, so daß es Swann vorkam, als bezeige er zwar Verachtung für seine Person, desto größeren Respekt jedoch für seinen Hut. « Wie bei »Das Haus am Eaton Place« spiegeln sich die aristokratischen Manieren der Herren in der Welt der Diener, vielleicht haben sie sich bei ihnen sogar noch reiner erhalten, weil sie sich der Bewunderung verdanken und dem Wunsch aufzusteigen, während die Aristokraten sich ja im Grunde gegenseitig langweilen.
    Der eine ist » ein Gesellschaftsschriftsteller, der soeben als sein einziges Instrument der psychologischen Durchdringung und der unerbittlichen Analyse […] ein Einglas in den Augenwinkel geschoben hatte «. Und die Marquise de Gallardon leidet darunter, daß ihre Verschwägerung mit den Guermantes nicht allgemein gewürdigt wird, » die fortwährenden Zurücksetzungen hatten sie gestrafft, wie jene Bäume, die durch ihren schlechten Standort am Rande eines Abgrunds genötigt sind, steil nach hinten zu wachsen, um das Gleichgewicht zu bewahren «.
    Was wäre von dem Buch übriggeblieben, wenn jeder, der darin schlecht wegkommt, den Autor verklagt hätte?
    Unklares Inventar:
    – Aubussonteppiche, Silberdiener.
    Verlorene Praxis:
    – Eine rückwärtige Stiege für Lieferanten besitzen.
    20. So, 6.8., Odessa, Uspenskaja 13
    Eine Exkursion nach Wilkowo, ins »Venedig der Ukraine«. Wahrscheinlich wird jede Stadt, die über auffällig viele Brücken verfügt, als Venedig bezeichnet. Wie China das Berlin Asiens ist, weil dort eine Mauer steht. Wir haben Unglück im Glück, einerseits fahren wir in einem alten Mercedes-Bus und sehen die Busse, mit denen die normalen Reisenden hier unterwegs sind, nur von außen, andererseits hat unser Bus Bildschirme, weshalb wir die Patrick-Swayze-DVD des Fahrers durcharbeiten müssen. Was für eine Wirkung »Dirty Dancing« in der DDR hatte, ist heute ja kaum noch nachvollziehbar, dafür muß man schon ein paar Jahre im Schatten leben und plötzlich unter bunt gekleidete, geschmeidige Körper geraten, die sich mit selbst ausgedachten unorthodoxen Tanzschritten für ihr Recht auf Erotik und Lebensfreude einsetzen. Mit diesem Film hat Patrick Swayze sich ein Denkmal gesetzt, von dem er nun von Zeit zu Zeit herabsteigt, um uns zu beweisen, daß er auch nur ein Mensch ist. Zum Beispiel im nächsten Film, dessen Drehbuch es gelingt, die Themenbereiche Banküberfall, Surfen und Fallschirmspringen zu verbinden. Dazu die pausenlosen historischen Anmerkungen der Exkursionsleiterin, die sich eines Megaphons von 1983 mit eingebauter Rückkopplung bedient. Das erklärt vielleicht, warum ich heute nur fünfzehn Seiten geschafft habe. Wenn man bedenkt, daß Proust in einem schallisolierten Zimmer geschrieben hat, ist diese Leistung nur um so höher einzuschätzen.
    Die Liste der touristischen Dummheiten, die ich in meinem Leben mitgemacht habe, ist um einen Eintrag reicher. Nachdem ich den Blarney-Stein geküßt habe, um die Gabe der Eloquenz zu

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