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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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wenn der Rauch eines Flintenschusses, aus dem eine Taube entflattert ist, sich verzogen hat, erwiderte gleich darauf meinen Gruß ein kräftig gebauter, untersetzter, kurzsichtiger, kleiner junger Mann «. Marcel ist » todtraurig «, er hatte sich Bergottes immenses Werk hineingedacht » in einen durch Verfall ehrwürdig gewordenen Organismus, welchen ich mir wie einen Tempel eigens dafür im Geiste aufgebaut «, nicht mit roter Nase und Kinnbärtchen. Für seine Komplimente bleibt Bergotte taub, weil sein » Leib bereits gierig dem Mahl entgegenlebte «. Daß es Bergotte so wenig berührt, wenn man seine Werke lobt, macht diese auch für Marcel weniger attraktiv. Aber das Eigenartigste ist Bergottes Stimme, die so gar nicht zu seinen Büchern paßt und von Marcel ausgiebig analysiert wird.
    Unklares Inventar:
    – Hummer à l’américaine.
    Verlorene Praxis:
    – Morgens für die Mutter der Freundin die Toilette auswählen, die man am liebsten an ihr sieht.
    32. Fr, 18.8., Alt-Lipchen, abends
    Jetzt erst verstanden, daß »King of Queens« ein Wortspiel ist. So, wie ich immer dachte, es heiße »Königs Wursterhausen« und Wicky sei ein Mädchen. Nicht mal den Bart vom Sandmann habe ich gesehen, ich dachte immer, es sei ein seltsames Kleidungsstück.
    Im Kleinbus zum Baden in Falkenhagen. Erstes Schwimmen in Seen in diesem Jahr, im Grunde das erste seit Jahren. In der Mitte eine kleine Plattform mit einem Rohr, das aus einem Bunker kommt, der sechs unterirdische Stockwerke haben soll, die in einer Kupferwanne liegen. Die örtlichen Angler wissen es, weil sie ein Echolot benutzen, was eigentlich unfair dem Fisch gegenüber ist. Kopfsprungübungen von einem angeschraubten Fußabtretergitter, ich solle die Beine zusammenhalten, das sehe besser aus. Beim Graben für den neuen Schuppen im Garten haben sie einen Schulterknochen gefunden. Daneben eine russische MG-Patrone, in die man einen Zettel mit dem Namen des Toten steckte. In N. finde immer noch ein Gedenkgottesdienst für die eine nicht von den Russen vergiftete Quelle statt. Früher waren die Ferien immer dafür gut, neue Witze und Sprüche zu sammeln, mit denen man in der Schule reüssieren konnte. »Knorke ist halb so dufte wie schnafte.« – »Dafür hattenwa im Mai drei schöne Tage.«
    Im Schatten junger Mädchenblüte, S. 151–171
    Warum leuchtet es in den Büchern der Autoren so viel heller als in ihrer Rede? Weil » solch Anleuchten aus großen Tiefen kommt und seine Strahlen nicht bis zu dem emporsendet, was wir in Stunden sagen, da wir, den anderen weiter geöffnet im Gespräch, uns selbst gegenüber bis zu einem gewissen Grade verschlossen bleiben «. Wo wäre der Autor also mehr er selbst als im Text? Es ist also ganz überflüssig, Autoren zu porträtieren, weil schon ihnen selbst das nicht anders gelingt als mit dem Schreiben. Trotzdem sind Journalisten immer darauf erpicht, irgendetwas Uninszeniertes am Autor zu entdecken, als seien sie nicht schon damit überfordert, das Bild, das man ihnen liefert, unverzerrt wiederzugeben. Normalerweise reicht ihre Beobachtungsgabe dann nicht über die Art des Getränks hinaus, das man für das Gespräch mit ihnen bestellt hat.
    Es gibt einen Tonfall in Büchern, der allein den Autor ausmacht: » Dieser Akzent erscheint nicht im Text, er wird nirgends durch Zeichen markiert und tritt doch unversehens zu den Sätzen hinzu, man kann sie nicht anders lesen; er ist das Allerflüchtigste bei dem Schriftsteller und das Tiefste zugleich. « Nicht durch Zeichen markiert, aber doch zwingend so zu lesen, eigentlich ja ein Widerspruch. Eine Art sich von selbst verstehender Interpretation für eine Partitur.
    Ein Trost für alle, die dachten, sie eigneten sich wegen mangelnder Intelligenz oder stockender rhetorischer Qualitäten nicht zum Autor. Man muss nicht feinsinnig sein, sondern seine »Persönlichkeit zu einem Spiegel […] machen« , mit dem man sein Dasein, und sei es mittelmäßig, reflektiert, »denn das Genie besteht in solcher Kraft des Zurückstrahlens und nicht in der Qualität, die dem widergespiegelten Geschehen von sich aus innewohnt «. Der Inhalt von Büchern wird also überschätzt, es kommt nicht auf die Relevanz an, sondern auf die Kraft des Zurückstrahlens.
    Wenn Bergotte in der anschließenden Diskussion über die Berma zu Swann und Marcel sagt: » [I]n der Szene, wo sie Oenone ihre Leidenschaft eingesteht und wo sie mit der Hand die Geste der Hegeso auf der Stele des Kerameikos wiederholt «,

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