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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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kann ich nicht mehr mithalten. Ich suche auch noch nach einem Freundeskreis, bei dem man sich durch solche Referenzen nicht unbeliebt macht.
    Verlorene Praxis:
    – Als mündiger Zuhörer bemerken, daß ein Autor » trotz aller Härten, die er ausgesprochen hat, sanft, und trotz aller Sinnlichkeit gemütvoll gewesen ist «.
    – Zu jemandem sagen: » Mein Gott, wie Ihre Anwesenheit das Niveau der Unterhaltung hebt! «
    33. Sa, 19.8., Alt-Lipchen, abends
    Zwei-Stunden-Lauf über Feldwege. Nachmittags Kaffee bei der Cousine. Die vielen Windräder würden Westlern gehören. In der Freizeit gehe der Bauer ins Haus, während wir im Garten säßen. Auf dem Land werde immer der jüngste Sohn mit Alkohol doof gemacht, damit er auf dem Hof bleibe. Im Bad Waschlappen vom VEB Frottana. Neuer Besuch kommt. Sein Bruder ist mit der Tochter im eigenen Flugzeug nach Kanada emigriert. Lange Fluglotse gewesen, deshalb kannten ihn am Boden noch alle, und er kam ohne Genehmigung durch. Über Grönland stotterte der Motor, aber er wußte, daß die Benzinschläuche eingefroren waren. Jeder andere hätte zur Landung angesetzt, aber er zog hoch Richtung Sonne, wie Ikarus, um die Schläuche wieder aufzutauen. Das überlebt, um Jahre später vom Schlag getroffen zu werden und sofort tot zu sein. Gehe allein in den Garten, einen Baum anfassen. Wozu an den Amazonas reisen, schon das ist exotisch genug. Wie uns Frau Tatziet immer bei Regen auf die Schubkarre setzte und zurück zum Haus fuhr. Lustlos an Proust, weil ein einziger negativer Leserkommentar im Blog mich schon entmutigt. Ich würde endlos Fragen stellen, die der Text nicht beantworte, dabei würden einem die Augen zufallen.
    Im Schatten junger Mädchenblüte, S. 171–192
    Zum ersten Mal bewertet jemand Marcels Wehwehchen als Berufskrankheit des » geistigen Menschen «, auch wenn er bis jetzt nur als potentieller Künstler geführt wird. Bergotte, » der meinen Fall zu kennen schien «, macht sich Sorgen, ob Cottard der richtige Arzt für ihn sei. Künstler und geistige Menschen » brauchen besondere Ärzte, ich möchte beinahe sagen, auch ganz spezielle Behandlungsweisen und Medikamente «. Schon wenn ein Arzt einen langweile, mache » die Langeweile seine Behandlung ganz bestimmt unwirksam «. Dabei ist hier noch gar nicht von Psychologen die Rede. Es muss eine Herausforderung für jeden Therapeuten sein, sich noch ausgiebiger als Marcel mit Marcels Seele zu befassen.
    Im Moment macht es ihm gar nichts aus, seinen Arzt langweilig zu finden, » ich erwartete von ihm, daß er mit den Mitteln einer Kunst, deren Gesetze mir unbekannt waren, über meinen Gesundheitszustand aus meinen Eingeweiden ein unfehlbares Orakel ablas, legte aber keinen Wert darauf, daß er mit Hilfe der Intelligenz, mit welcher ich ihm selber hätte aushelfen können, die meine verstehen wollte, die ich mir nur als ein an sich belangloses Instrument vorstellte, um außer mir liegende Wahrheiten zu erforschen «.
    Gilberte lädt er übrigens nicht zu sich ein, weil er fürchtet, daß sie seine Familie spießbürgerlich finden könnte, da seine Mutter zum Tee auch Schokolade anbietet.
    » Wieder allein, beschäftigte ich mich damit, Aussprüche zu fabrizieren, die den Swanns vielleicht hätten gefallen können […] ich richtete selber fingierte Fragen an mich, die ich so auswählte, daß meine glänzendsten Einfälle als glücklich formulierte Repliken darauf paßten.« Wieder ein Baustein zur Genese des Autors, mangelnde Schlagfertigkeit wird mit tröstenden Selbstgesprächen kompensiert, die vielleicht irgendwann zum Text werden. Aber das Schreiben scheitert schon vor dem ersten Wort: »Wäre ich weniger entschlossen gewesen, mich endgültig an die Arbeit zu begeben, hätte ich vielleicht einen Vorstoß gemacht, gleich damit anzufangen. « Eine gute Ausrede. Die Tage vergehen mit Warten auf den richtigen Moment. Schon dieses kann zermürben: » Ich brauchte, bevor mein Schwung wiederkehrte, mehrere Tage der Entspannung. « Die vorsichtigste Erkundigung der Großmutter nach seiner Arbeit trifft ihn empfindlich, sie entschuldigt sich auch gleich.
    Obwohl ein Muttersöhnchen, kann man ihn nicht als verklemmt bezeichnen, er ist längst sexuell initiiert (was nicht wichtig genug scheint, um mehr als nebenbei erwähnt zu werden) und scheut sich nicht, ins Bordell zu gehen. »Rendezvoushäuser« empfindet er schnell als ähnlich nützlich wie » illustrierte Werke der Kunstgeschichte, Symphoniekonzerte und Monographien

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