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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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häufig unnachsichtig angegriffen wurde. […] Man muß zu dem Schluß kommen, daß eine solche Unterwerfung der Elite unter die Gewöhnlichkeit in vielen Ehen die Regel ist, wenn man bedenkt, wie viele hochkultivierte Frauen umgekehrt sich von einem Grobian betören lassen, der ihre zartsinnigsten Worte unerbittlich aburteilt, während sie sich mit der unendlichen Nachsicht der Zärtlichkeit angesichts seiner dummen Späße vor Entzücken nicht zu lassen wissen «. Das klingt jetzt wie zur Ehrenrettung der Frauen gesagt, aber es spricht doch genausowenig für sie, einen klugen Mann zu mißachten wie sich für einen Grobian wegzuwerfen. Im Grunde sind solche Verhältnisse Skandale, die in den Nachrichten erwähnt werden müßten wie Menschenrechtsverletzungen.
    Der Bereitschaft, sich einer dummen und nicht einmal schönen Frau zu unterwerfen, gerade weil sie für die eigene Klasse blind ist, hat aber auch etwas rührend Utopisches. Man glaubt eben immer noch an die Menschheit, wie soll man Despoten zu Demokraten erziehen, wenn man schon einer Frau nicht zu der Überzeugung verhelfen kann, daß man für sie ein Geschenk ist?
    Früher hatte Swann sich damit getröstet, ihr eines Tages, nach Erlöschen seiner Liebe, endlich die Wahrheit über ihre Seitensprünge entlocken zu können, » aus einfacher Liebe zur Wahrheit und gleichsam wie ein Historiker klarzustellen, ob Forcheville an jenem Tage mit ihr im Bett gewesen sei, als er geschellt und ans Fenster geklopft hatte […]. Doch dies so ungemein spannende Problem, für dessen Aufklärung er nur das Ende seiner Eifersucht abgewartet hatte, verlor jedes Interesse in Swanns Augen, als er aufgehört hatte, eifersüchtig zu sein «. Auf die Genugtuung, sie eines Tages seiner Gleichgültigkeit versichern zu können, legt Swann jetzt keinen Wert mehr, » mit der Liebe war auch sein Verlangen geschwunden, zu zeigen, daß keine Liebe mehr in ihm war «. Das unterscheidet dann vielleicht einen gesunden Menschen von einem Autor, der schon aus professionellen Gründen nie das Interesse für seine Probleme verlieren wird, gerade wenn sie sich längst erledigt haben.
    31. Do, 17.8., Alt-Lipchen
    Die Vorbereitung auf den nächsten Berlin-Marathon beschäftigt einen wie eine Frau, in die man unglücklich verliebt ist, man glaubt, das Problem durch Konzentration auf das Problem lösen zu können. Ständig verliere ich mich in Tagträumen, die von den ein bis zwei Kilo handeln, die ich noch abnehmen will. Der männliche Körper läßt sich zum Glück durch Sport beliebig verschönern, und es ist leichter für mich, meinem Ideal von mir zu entsprechen, als für andere meinem Ideal von ihnen. Erstaunlich, wieviel seelische Kraft man aus der Tatsache schöpft, in Form zu sein. Als Autor müßte ich mir eigentlich Handicaps suchen, um besser zu verstehen, wie sich die anderen Menschen fühlen. So wie Klavierstimmer oft blind sind, aber besser hören, muß ein Autor doch kränkeln, um besser zu sehen. Manchmal ist es ja fast entspannend, krank zu sein, weil dann die Angst vor der nächsten Infektion wegfällt, die irgendwo in der Zukunft auf einen lauert wie eine Zecke im Baum.
    Im Schatten junger Mädchenblüte, S. 130–151
    Daß ihm ihre Eltern verraten, er sei Gilbertes »Favorit«, weckt bei Marcel neue Bedenken, denn » wenn die Wirklichkeit sich genau nach dem formt, was wir so lange geträumt haben und sich vollkommen damit deckt, ergibt sich zweifellos, daß sie uns die Formen ebenjenes Traums verbirgt und sich mit ihnen verbindet wie zwei ganz gleiche aufeinandergelegte Figuren, die nur noch eine bilden, während wir, damit unsere Freude ihren vollen Sinn bekäme, gern sähen, daß unser Wunschbild an allen Punkten in dem Augenblick, so wir daran rühren wollen – um ganz sicher zu sein, daß es das richtige ist –, die Eigenschaft des Ungreifbaren behält «. Traurig, wenn einem der Zustand des Wünschens zur Heimat geworden ist, die man für etwas so Zweifelhaftes wie Glück nicht verlassen möchte.
    Eine weitere in der Reihe der Ernüchterungen, von denen uns Marcel berichtet, ist die erste Begegnung mit Bergotte in Odettes Salon. Er hatte sich ihn als » göttlichen Greis « vorgestellt, als » holden Sänger im weißen Haare «. Er ist so voller Bewunderung, daß er zusammenfährt » als habe man einen Revolverschuß auf mich abgegeben «, weil Odette ihrer beider Namen im selben Satz nennt. » [N]ach Art der Zauberkünstler, die tadellos im Überrock vor einem stehen,

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