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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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finden, daß wir in Bewunderung ausbrechen, wenn wir in dem, was wir für eine alte gälische Dichtung halten, einer Idee begegnen, die wir bei einem Zeitgenossen höchstens ganz geistreich gefunden hätten. «
    Zunächst darf Marcel ganz allein die Sammlung von Elstirs betrachten, über die die Guermantes verfügen. Bilder, die einem zeigen, wie Elstir die Wirklichkeit sieht, wodurch man sie selbst in Zukunft auch anders sehen wird. Elstirs Bemühen » hatte oft darin bestanden, das Aggregat aus Vernunfteinsichten aufzulösen, aus dem sich bei uns ein optischer Eindruck zusammensetzt «. Als Gegenstand für solche Experimente kann dann alles dienen, » es gibt keine mehr oder weniger kostbaren Dinge, das ordinäre Kleid und das in sich selbst hübsche Segel sind beide Spiegel des gleichen Lichterspiels; was daraus wird, hängt einzig vom Blick des Malers ab «. Diese Erkenntnis läßt sich natürlich auch direkt auf die Literatur übertragen, wo es keine großen oder kleinen Themen gibt.
    Der Kontrast könnte eigentlich nicht größer sein, von der tiefsten Beziehung zur Welt, die sich in Elstirs Kunst zeigt, geht es in die oberflächlichste Sphäre, ins Auslaufgehege des Adels. Über seine Kunstbetrachtung hat Marcel die Zeit vergessen, und als er den Salon betritt, hat man dort tatsächlich seit einer Dreiviertelstunde mit dem Beginn des Essens auf ihn gewartet. Trotzdem läßt sich niemand etwas anmerken. Nachdem er bei seinen bisherigen Salonerlebnissen » entweder gönnerhaftes oder reserviertes Verhalten von seiten mürrischer Damen der bürgerlichen Gesellschaft gewohnt war «, findet er sich jetzt, wie Parsifal, umgeben von aufgeschlossenen, tief dekolletierten » Blumenmädchen «, deren zärtliche Blicke ihm von überallher zufliegen.
    Diesen Damen waren » seit dem zartesten Alter die von stolzer Demut diktierten Lehren eines christlich betonten Snobismus eingeimpft «. Freundlichkeit gegen Tieferstehende ist da nur ein Mittel, den Abstand zu betonen: » Laß denen, welche tiefer als dich zu stellen die himmlische Güte dir die Gnade erwiesen hat, zukommen, was du ihnen zuteil lassen kannst, ohne deinem Rang etwas zu vergeben, das heißt geldliche Beihilfe und selbst Krankenpflege, aber natürlich nie eine Einladung zu einer deiner Abendgesellschaften, was ihnen gar nicht guttäte, wohl aber durch Verminderung deines Prestiges deinen Wohltaten etwas von ihrer Wirkung benähme. «
    Es kommt zu den eigenartigsten gesellschaftlichen Verrenkungen. Graf Hannibal de Bréauté-Consalvi kennt Marcel nicht und geht deshalb davon aus, daß dieser außerordentliche Verdienste vorzuweisen haben muß, sonst hätte ihn die Madame de Guermantes nicht eingeladen, so wie er sich selbst » ebensosehr und in ganz der gleichen Weise wie die Herzogin von Guermantes, nur in männlicher Gestalt, als Schmuck und Weihe jedes Salons empfand «. Als Neuling scheint Marcel aufzufallen, der Graf tritt mit ihm in Kontakt: » Er sah freilich noch nicht klar, ob ich nun eigentlich derjenige sei, dessen Serum gegen Krebs zur Zeit erprobt wurde, oder der Mann, der den nächsten Einakter im Théâtre-Français einstudierte, aber als großer Geist und Liebhaber von ›Reiseerzählungen‹ machte er mir für alle Fälle zahllose kleine Verbeugungen und sandte mir Zeichen von Verständnis und durch sein Monokel filtrierte Formen des Lächelns zu, ob nun in der falschen Vorstellung befangen, ein Mann von besonderen Verdiensten werde ihn besser würdigen, wenn er ihm die Meinung glaubhaft nahelegte, er, Graf Bréauté-Consalvi, schätze die Privilegien des Geistes nicht minder hoch als die der Geburt, oder aber einfach aus dem Bedürfnis und einer gleichzeitigen Schwierigkeit heraus, seine Befriedigung auszudrücken, da er ja nicht wußte, in welcher Sprache er zu mir reden solle, alles in allem jedenfalls so, als befinde er sich in der Gegenwart eines der ›Eingeborenen‹ eines unbekannten Landes, an dessen Küste sein Floß angelegt hätte und mit dessen Einwohnern er in profitlicher Absicht unter aufmerksamer Beobachtung ihrer Sitten und Gebräuche, ohne deswegen seine unaufhörlichen Freundschaftsbekundungen zu unterbrechen noch zu versäumen, wie jene Stämme laute Schreie auszustoßen, Straußeneier und Gewürze gegen Glasperlen einzutauschen versuchte. «
    Eine sehr komische Beschreibung, der Slapstickcharakter der Ethnologie (wenn sich der Ethnologe den vermeintlichen Gepflogenheiten der Eingeborenen anzupassen versucht, deren Sprache

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