Schmidt Liest Proust
sonst hätte sie sich vielleicht nicht so schnell wieder von mir getrennt. Die Lautsprecher rauschten, der Ton war falsch justiert, schade, daß ich nicht meinen einen Bekannten dabei hatte, den solche Dinge immer so sehr stören, daß er sich auf nichts mehr konzentrieren kann, was einen selbst immer ganz ruhig werden läßt. So ein Neurastheniker ist ein Entspannungsmittel für andere.
Als die Mutter im Film die Füße auf den Schreibtisch legte, fiel mir ein, daß wir schon als Kinder wußten, daß die Amerikaner das machten. Während ich nie über den Rasen gelatscht bin, nie meine Füße auf die S-Bahn-Sitze gelegt habe, Rollstuhlfahrern immer anbot, sie den Berg hochzuschieben und einen großen Teil meiner Freizeit am S-Bahnhof Buch mit dem Hochschleppen fremder Kinderwagen verbracht habe.
Der Zahnarzt, der den jugendlichen Helden immer analysieren will: »Mit traditioneller Zahnmedizin sind mir irgendwo Grenzen gesetzt.« Er erklärt ihm das Verhalten seiner eigenartigen Freundin: »Sie ist verlassen worden und sucht sich einen wie dich, der ihr nie wehtun würde.« Mit solchen Erkenntnissen geht man dann durchs Leben.
Als die Psychopharmaka anschlagen, sagt der Held begeistert: »Ich fühl mich so wie ich. So hab ich mich noch nie gefühlt!« Später zieht er nach New York und rennt durch die Straßen, und es kann einfach keine andere Stadt auf der Welt geben, in der man beim die quälende Pubertät abschließenden Durch-die-Straßen-Rennen so ein schönes Bild abgibt.
Die Welt der Guermantes, S. 544–567
Der » Geist der Guermantes « verlangt eine eingehendere Betrachtung, schließlich handelt es sich um ein vages Phänomen, das eigentlich nur richtig erfassen kann, wer selbst darüber verfügt. Warum ist der Salon der Madame de Guermantes der erste im Faubourg Saint-Germain, und bei der Prinzessin von Parma, die doch versucht, Oriane de Guermantes in allem zu kopieren, kam es » immer wieder einmal vor, daß sie den ganzen Tag mit einer Hofdame und einem ausländischen Legationsrat allein blieb «. Der Geist der Guermantes » war eine Qualitätsbezeichnung wie ›Fleischpasteten aus Tours‹ oder ›Biscuits aus Reims‹ «.
Die Kunst, einen Salon zu führen, liegt in der sorgfältigen Auswahl der Besucher. Es ist anstrengend genug, wenn man eine lange Liste von Personen hat, die man regelmäßig besuchen muß, da muß man sparsam mit Neuaufnahmen sein. Für Oriane zählen dabei die üblichen Verdienste nichts. Was ihren Freunden, die auf eine Karriere verzichtet haben, um täglich bei ihr vorbeizuschauen, das Gefühl gibt, die richtige Wahl getroffen zu haben, » wenn auch ein gewisser melancholischer Zug, den sie inmitten allgemeiner Fröhlichkeit doch behielten, ein wenig die Wohlbegründetheit dieses Urteils in Zweifel zu stellen schien «.
Wenn einen nicht die üblichen Verdienste qualifizieren, bleiben die Auswahlkriterien undurchsichtig. Tatsache ist, » daß die Herzogin von Guermantes über alles übrige nicht die Gescheitheit stellte, sondern das, was sie als eine überlegenere, erlesenere Form einer in Worten sich erfüllenden Spielart des Talents bezeichnete – den ›esprit‹ «. In jedem Fall muß das Talent sich in Worten ausdrücken, man wird also schlagfertig sein müssen. Wobei » der Geist der Guermantes anspruchsvolle, lange Reden sowohl des ernsten wie des komischen Genres als unerträglich abtat «. Damit sind wir natürlich mitten in Frankreich, wo man sich wie Voltaire noch einmal sein Heftchen mit Bonmots durchliest, bevor man sich unter Leute begibt.
Oriane selbst ist eine Meisterin in der Kunst der » Imitationen «, also darin, Personen zu karikieren. Der Gegenclan der Courvoisier hat für so etwas keinen Sinn, man hat dort einfach nicht » die Feinheit des Gehörs «, um überhaupt die Eigenheiten an jemandem zu erkennen, geschweige denn, ihn imitieren zu können. Für die Courvoisier ist der Esprit Orianes ein Schreckgespenst, weil sie wissen, zu welchen gesellschaftlichen Erfolgen er ihr verhilft. Wenn Oriane auftritt, treten sie den Rückzug an, um ihrem Erfolg nicht beiwohnen zu müssen.
Zwischenfälle, die den Courvoisier peinlich sind – für seine Gäste einen Stuhl zu wenig zu haben oder einen Namen zu verwechseln –, nimmt die Madame de Guermantes » zum Anlaß für Erzählungen, über die alle Guermantes bis zu Tränen lachten, so daß man die Erzählerin beinahe darum beneiden mußte, daß sie nicht genug Stühle gehabt, irgendein Versehen in der Rede
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