Schmidts Bewährung
Versorgungsquelle, denn sie werden ihm Fälle abgeben, die zu klein oder zu wenig gewinnträchtig sind, und gelegentlich auch einen lohnenden Auftrag von einem treuen Mandanten, den sie wegen eines Konflikts nicht selbst übernehmen können – es sei denn, sie wollten sich bei einer großen Kanzlei beliebt machen, indem sie ihr den Mandanten zuschustern, womit sie allerdings das Risiko eingehen, daß ebendiese große Kanzlei ihnen den Mandanten ganz wegschnappt. Man konnte nur hoffen, daß Riker noch Freunde bei W&K hatte, obwohl das Votum gegen ihn einstimmig ausgefallen war. Womöglich würde ihm der eine oder andere Sozius, der deswegen ein schlechtes Gewissen hatte, helfen. Schmidt sah sich den Briefumschlag noch einmal genau an, schüttelte ihn sogar. Aber er fand nichts, keine persönliche Notiz steckte darin, nicht ein Wort.
Wunderbar. Dies glich einer Entlastung des Gemeinschuldners, ein geschicktes Arrangement seines Schwiegersohns, des Spezialisten für Konkursverfahren. Er mußte gar nichts tun – nur die Faxnummer notieren, aber die war von zweifelhaftem Nutzen für ihn, da er kein Faxgerät besaß –, und niemand verlangte irgend etwas von ihm. Er hatte einen Zustand weitreichender persönlicher Freiheit erreicht. Ein zweites Trankopfer war nun durchaus angebracht. Das braune Naß hatte seine Lippen noch nicht benetzt, da klingelte das Telefon. Wer konnte das sein – Mr. Mansours Assistent? Mr. Blackmans Assistentin? Die beruhigende Stimme eines pensionierten Polizisten, der Geld für die Konferenz von Polizeichefs im Ruhestand sammelte? Oh nein, welche Überraschung! Renata Rikers Stimme erkannte er sofort, wartete aber, bis sie ihren Namen gesagt hatte, und begrüßte sie erst dann.
Ist das nicht eine Freude, fragte sie?
Er log: Was denn?
Charlotte. Jon. Die beiden! Du hattest ganz recht, Jon hat wieder eine Stelle, er ist Sozius einer New Yorker Kanzlei, die ihm gefällt. Ich bin so froh! Mindestens so froh wie damals, als er Sozius bei Wood & King wurde. Und er und Charlotte sind wieder zusammen. Oh Schmidtie, das ist so gut, so richtig. Kommst du in die Stadt, damit wir zusammen feiern können?
Meine liebe Renata, ich erfahre die Neuigkeiten eben in dieser Minute von dir, und von einer Feier habe ich nichts gehört. Ich saß hier ganz friedlich mit einem Drink.
Heißt das, sie haben dich nicht angerufen?
So ist es.
Ein angenehmes Gefühl, wieder auf den sicheren Boden unbestreitbarer Tatsachen zurückzukehren.
Das ist schlimm, sehr schlimm, aber du mußt ihnen verzeihen, sie hatten so viel Wirbel. Natürlich zögerten sie – das heißt, Charlotte zögerte, Jon hatte gar keine Zweifel –, bis die Sache mit der Sozietät klar war, und dann die letzten paar Wochen, das kannst du dir doch vorstellen! Es gab so viel zu planen und zu tun, bis sie den Wiederbeginn ihres alten Lebens organisiert hatten. Sie waren sehr besorgt, wie ihre alten Freunde reagieren würden.
Natürlich.
Ich kann nur sagen, ich habe ihnen dringend ans Herz gelegt, dich anzurufen, und es ist mein Fehler, nicht dafür gesorgt zu haben, daß sie es auch wirklich tun. Bitte, bitte, sitz nicht da und brüte finstere Gedanken aus. Finstere Gedanken haben so viel Macht! Schmidtie, wir sind wieder eine Familie!
Gut, daß er den zweiten Drink genommen hatte. Der gab ihm die Entschlußkraft, etwas zu tun, was er bei Gott noch nie getan hatte, noch nicht einmal, als ihn einer dieser Polizeichefs mit einem Telefonat von der Klobrille aufgescheucht hatte: Er legte auf.
Am selben Tag trug er spätabends, schon in Pyjama und Bademantel, die Trittleiter in sein Schlafzimmer und holte die im obersten Schrankfach verstaute Schachtel herunter. Da waren sie, eingewickelt in Seidenpapier. Daß er so sorgfältig gewesen war, überraschte ihn selbst. Er wickelte sie eine nach der anderen aus, die Photographien, die die Geschichte seiner Familie erzählten, angefangen von den professionellen Hochzeitsphotos von Mary und ihm bis hin zu den Schnappschüssen, die sie in den letzten Monaten gemacht hatte, als sie schon nach Bridgehampton gezogen waren, sie aber noch versuchte, ihr Leben weiterzuführen wie bisher; die Krankheit hatte noch nicht zumtödlichen Schlag ausgeholt. Die Photos hatte er weggeräumt, als Carrie kam, damit sie nicht streng und kritisch aufs Bett hinabstarrten. Jetzt konnten sie also wiederkommen. Alle, außer den Photos von Charlotte, nachdem sie Jon kennengelernt hatte, und außer den Bildern von Jon und Charlotte
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